Tag 46:
Die Angst vor dem Ende
(Teil 1)

Loslassen gehört zum Einlassen dazu

Gestern habe ich ein wunderschönes Video auf Youtube gesehen. Darin geht es um die Angst vor dem Ende.

Das Video hat mich extrem berührt, denn es erinnerte mich an meine Kernängste. Die Angst vor dem Einlassen aufgrund meiner Angst vor dem Loslassen. Geister, die mir mein Leben erschweren.

Im gestrigen Post habe ich euch davon erzählt, dass wir lernen müssen, für den Moment dankbar zu sein und alle Erwartungen nach mehr loszulassen. Was für ein wunderschöner Wink des Schicksals, mir dann dieses Video zuzuspielen. Der Fluss von Text, Bildern, Hintergrundmusik und dieser wahnsinnig schönen Stimme spülte alte Erinnerungen hervor. Gedanken an Momente, die ich so gern festgehalten hätte und nicht konnte. Mir wurde klar, warum ich mich oft erst gar nicht einlassen will. Meine Angst wieder loslassen zu müssen und das Rad des Lebens weiterdrehen zu lassen, erzeugte in mir eine Schwere und ein Schleier der Sorge trübte meine Sicht. Die Angst vor dem Ende, nahm mir die Chance auf einen glücklichen Anfang und einen unbeschwerten Genuss. Sie schnürte mir die Luft ab und die Erinnerungen an alten Herzschmerz ließen mich leiden, noch bevor eine neue Liebe entstehen konnte. Sie dominierte mich, dominierte meine Wahrnehmung und jeden glücklichen Moment.

 

„Wir verlassen das Glück, um im Kopf schon die Tragödie zu proben.“

– Raphael Lepenies

 

Ich erinnere mich daran, wie ich im zarten Alter von 16 Jahren an einem Sonntagnachmittag in den Armen meines ersten Freundes lag und wir zur Musik der Band „Wir sind Helden“ vor uns hin dösten. In diesem Moment überkamen mich Tränen der Angst, dass ich diese Liebe und diesen Mensch womöglich irgendwann verlieren könnte. Die Situation war zu schön, als dass ich sie gehen lassen wollte. Und genau deshalb rissen mich die Emotionen aus diesem wunderschönen Jetzt und trugen mich weg in dunkle Zukunftsfantasien voller Trauer und Leid. Statt die Gegenwart zu 100% zu genießen, machte ich mir sorgen über das was kommen könnte. Ich beschnitt mir selbst mein Glück.

Viele Jahre gingen vorüber, andere Männer kamen in mein Leben, doch die Angst vor dem Ende blieb die Gleiche. Mit jedem Menschen, den ich aus meinem Leben gehen ließ oder gehen lassen musste, viel es mir schwerer mich auf neue Menschen einzulassen. Ich war so gesättigt von Trennungsschmerz und Abnabelungsprozessen, dass ich lieber nichts Neues in meinem Leben willkommen heißen wollten, das ich dann doch eines Tages wieder verabschieden muss. Selbstschutz pur!

Ich glaube, dass dies eines der Grundprobleme unserer heutigen Gesellschaft ist. Unsere Beziehungen sind weniger beständig. Genauso wie unsere Lebensentwürfe und unsere Wünsche, die sich ständig weiterentwickeln und verändern. Trennungen sind an der Tagesordnung. Da wir die freie Auswahl haben, lassen wir uns ein, scheitern und werden verletzt. Jeder neue Versuch, der missglückt, hinterlässt Wunden in unseren Herzen. Diese aktivieren eine Angst vor erneuter Verletzung. Wir konditionieren uns daher selbst nach dem Schema lieber oberflächlich zu bleiben und wenn es ernst werden könnte, besser schnell wieder abzuhauen. Dies soll uns davor schützen neue Wunden zu erleiden. Wir lernen, dass sich nicht oder nur oberflächlich einzulassen besser für unser Wohlbefinden ist. Insbesondere Männer, die aufgrund immer noch unterschiedlicher Erziehungsstile Probleme mit “schwachen” Gefühlen haben, verfallen so unter Umständen in einen Kreislauf oberflächlicher Liebschaften, in denen sie diesen Gefühlen nicht ausgesetzt sind, sondern aus einer gewissen Distanz und Unnahbarkeit heraus in Sicherheit operieren können. (Frauen können das auch, bei Männern ist dies aufgrund einer oft etwas anderen Form der Sozialisierung häufiger. Männer schützen sich eher durch Rückzug, während Frauen häufiger anklammernde Tendenzen haben.)

Viele von uns flüchten daher in die Oberflächlichkeit. Die Angst vor erneutem Ende, erneutem Schmerz oder der Herausforderung nach einer Trennung dem Alleinsein mit all seiner Härte ausgesetzt zu sein und es erst wieder neu lernen zu müssen, ist zu groß. Wer sich nicht einlässt, muss auch nicht loslassen.

Da der Artikel sonst heute zu lang werden würde, habe ich ihn geteilt. Morgen folgt daher mit „Die Flucht in die Oberflächlichkeit“ Teil 2 zum Thema “Die Angst vor dem Ende”.

Ich hoffe ihr könnt euch so lange gedulden.

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