Tag 31:
Die Angst vor dem freien Fall

Gestern Abend habe ich realisiert, warum es mir so schwer fiel Sebastian loszulassen. Es ist meine Angst vor dem Absprung in den freien Fall, die mich in altbewährten Verhaltensweisen stecken ließ. Es ist die Angst vor einer ungewissen Zukunft, die mich daran hinderte alles Alte loszulassen. Stattdessen klammerte ich mich an gemeinsame Erinnerungen und Hoffnungen an eine vereinte Zukunft. Denn oft ist es einfacher sich in Probleme mit anderen zu verstricken als den Kampf gegen sich selbst anzutreten.

Die Situation nicht loslassen zu können – auch wenn ich weiß, dass es richtig wäre – ist ein altbekanntes Muster. An jedem Ende eines Miteinanders mit einem Mann, entwickelte ich auf einmal einen Festhaltereflex. Und das obwohl ich in mir schon lange den Wunsch verspürte mich von ihm zu trennen. Es sind die Erinnerungen an die schönen gemeinsamen Momente, die in mein Herz piksten und mich kurz vor der finalen Trennung noch einmal furchtbar emotional werden ließen. Die Erinnerungen wirkten als Hoffnungsanker, die mich an den anderen banden, statt mit voller Fahrt Richtung Zukunft zu steuern und die Vergangenheit hinter mir zu lassen. Es dauert immer aufs Neue seine Zeit diesen Hoffnungsanker einzuholen. Deshalb sind Trennungen bei mir ein langsamer Abnabelungsprozess.

Und so ist es auch bei meiner eigenen Transformation. Wenn ich ehrlich bin, habe ich Angst in meinem Kampf mit mir selbst meine Identität und all das zu verlieren, was ich mir in den letzten 29 Jahren aufgebaut und zementiert habe. All das, was mein Leben ausmacht. Denn je mehr ich mich hinterfrage, desto klarer wird mir, wie viel es zu ändern gilt, um letztendlich wirklich bei mir anzukommen. Innerhalb meiner gewohnten Grenzen fühle ich mich so viel sicherer als im Sturm auf hoher See. Zwar gibt es in meinem Leben immer wieder Reibungspunkte, aber auch diese sind mir mittlerweile so gut bekannt, dass ich weiß mit ihnen umzugehen. Sie verhindern vielleicht mein vollkommenes Glück, aber sie machen mir auch keine Angst mehr. Auf Autopilot zu fahren ist komfortabler als alles neu lernen zu müssen. Aber genau das habe ich mir vorgenommen und jetzt gibt es kein zurück mehr. Es gibt nur noch einen Weg: Tiefer graben.

Mit meinem OYNG-Experiment habe ich mich bereits entschieden mein Leben radikal ändern zu wollen. Ich habe das Ticket für den freien Fall quasi schon gekauft. Ich schreibe seit 31 Tagen über meine Erfahrungen. Allerdings habe ich die Versuchsanordnung methodisch noch nicht richtig aufgebaut. Ich hielt an meinen alten Hoffnungen und Verhaltensweisen fest. Ein Teil in mir wollte springen und das Abenteuer riskieren, ein anderer Teil spielte den Bedenkenträger und Beschützer und versuchte mich weiterhin fest an mein altes Leben zu ketten – aus Angst davor, dass ich mich bei dem Sprung verletzten könnte. In der Konsequenz hing ich über der Absprungplattform in der Luft – aufgehängt an den Ketten der Vergangenheit und gleichzeitig mit beiden Beinen in der Luft. Statt mein Jahr ohne Männer auch wirklich als dieses durchzuziehen, hielt ich auf subtile Weise an ihnen fest. Statt mich mit mir zu beschäftigen und mir die Freiheit zu geben, mich komplett frei in alle Richtungen entwickeln zu können, versuchte ich Ankerpunkte und Leuchttürme in mein Leben zu bauen, die mir beim Navigieren auf offener See helfen sollen.

Sebastian war als dieser Leuchtturm gedacht. Ich stellte es mir schön vor zu wissen, welchen Hafen ich nach diesem Jahr ansteuern und in welchen Armen ich dann liegen werde, statt mir zu erlauben wirklich frei zu sein und erst im Verlauf herauszuarbeiten an welchem Ort ich ankommen will. Ihn in meinem Leben zu halten, gab mir ein Gefühl der Sicherheit. Ich setzte die Segel, aber aus Angst vor dem offenen Meer und den dort aufziehenden Stürmen warf ich den Anker und versuchte in meinem Heimathafen segeln zu lernen. Ein netter Versuch, aber keiner der mir das Geben wird, wonach ich suche.

Gestern Abend gab es diesen Moment, in dem es Klick gemacht hat. Plötzlich stoppte mein Gedankenkarussell und ich war wieder bei mir. Als ich realisierte was mich an ihn band, konnte ich es annehmen, dass ich ihn gehen lassen muss. Sonst wäre ich nicht in der Lage meine Reise in vollem Umfang zu genießen. Ich würde immer mit einem Bein in der Vergangenheit stecken bleiben, anstatt mit beiden Beinen Richtung Zukunft zu laufen.

Die kreisenden Gedanken hatten also ihren Sinn – sie wollten mir zeigen, welche die nächste Lektion ist, die ich zu lernen habe. Es ist die Fähigkeit loszulassen. Es ist jetzt an mir herauszuarbeiten, was diese Angst vor dem Absprung und vor der Ungewissheit des Alleinseins auslöst. Es sind viele Steine, die ich dazu umdrehen muss. Aber ich freue mich auf die Reise und ich freue mich so sehr darüber, das ihr mich begleitet.

Von daher lasse ich alles Alte hinter mir. Das was ins letzte Jahr gehört, lasse ich dort zurück. Ich starte von vorn. Aus meinem Experiment ein Jahr ohne Sex wird ein Jahr ohne Männer – so wie es der Name ONE YEAR NO GUY ja auch sagt. Und wenn ich doch jemanden kennenlernen sollte, muss sich dieser bis zum 03.12.2018 gedulden. Ich nehme erst dann wieder Bewerbungen an.

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