Tag 197:
Sonne und Regen

Meine letzten Monate waren voller Sonne und Glück. Ich habe wahnsinnig viel bearbeitet und habe eine wunderschöne Transformation durchgemacht. Doch an diesem Wochenende kamen die Regenwolken zurück und regneten sich über meinen Wangen ab. Es war das Wochenende, an dem meine Mama zu Besuch in Hamburg war. Und diese Momente sind in der Realität immer viel schwerer als in der geplanten Fantasie. Sie kommen mit all den Emotionen der Vergangenheit, die ich noch immer nicht richtig loslassen kann. Und vor allem kommen sie voller Trauer.

Bereits der Start in dieses Wochenende war alles andere als optimal. Die letzte Woche war kräftezehrend – viel Arbeit und wenig Schlaf. Ich hatte kaum Zeit zum Meditieren bzw. war zu müde und gleichzeitig zu aufgedreht, um dies zu tun. Ich hatte keine bzw. kaum Zeit für mich und für eine sorgsame Achtsamkeit mit mir und der Welt um mich herum. Ich habe funktioniert wie eine Maschine und wie diese fühlte ich mich am Ende dieser Woche auch – emotional leer. Durch das Vernachlässigen meiner morgendlichen Praxis und der so wichtigen Zeit für mich, verlor ich fast gänzlich diese wunderschöne Verbindung zu mir selbst, die ich mir in den letzten Wochen und Monaten so mühsam aufgebaut hatte. Statt dem Frieden in mir, der die letzten Wochen und Monate mein stetiger Begleiter war, ist dort gerade eine große Hoffnungslosigkeit. Der Glaube daran, dass irgendwann alles gut werden wird, ist wie verschwunden. Und in all diesem emotionalen Chaos fühle ich mich wahnsinnig allein.

Meine Gedankenwelt scheint nach Wochen und Monaten der Euphorie wie umprogrammiert. Ich kann nicht daran glauben, dass nach all den Jahren des Alleinseins doch irgendwann das „Wunder“ geschehen wird, dass sich ein anderer Mensch für mich entscheidet. Ich fühle mich diesem Thema gegenüber gerade komplett hilflos ausgeliefert. Was kann ich noch tun, nachdem ich all den Ballast der Vergangenheit entrümpelt und entstaubt habe? Ich habe alles getan, das ich tun kann und dennoch warte ich noch immer auf einen Menschen, der in mein Leben kommt und der nach all den Enttäuschungen der letzten Jahre endlich mit mir sein möchte und sich jeden neuen Tag für mich entscheidet. Ich warte immer noch auf diesen Menschen. Es scheint als wäre ich immer noch nicht weg von meiner Droge. Es scheint als hätten mich die alten Gedankenmuster immer noch in ihrem Bann.

Es ist die alte Welt, die mich mit dem Besuch meiner Mutter, eingeholt hat. Die alten Gefühlskaskaden waren dieses Wochenende wieder so präsent – und das obwohl ich mir so fest vorgenommen hatte, sie so anzunehmen, wie sie ist und meinen Frieden mit ihr und der dunklen Vergangenheit zu machen. Wenn sie um mich ist, kann ich jedoch nicht glücklich sein. Es fühlt sich so an, als wenn ihre bloße Anwesenheit all meine Lebensfreude und jede Liebenswürdigkeit aus meinen Adern zieht. Ihr gegenüber kann ich nur mit Isolation und Rückzug reagieren. Jeder Moment will ausgehalten und irgendwie überstanden werden. Es fehlt die Leichtigkeit und die Freude, die man doch eigentlich spüren sollte, wenn man mit Familienangehörigen zusammen ist. Es ist qualvoll – vor allem deshalb, weil wir es beide so gern anders hätten und es einfach nicht hinbekommen. Es ist so qualvoll, weil sie gern eine andere Tochter und ich gern eine andere Mutter hätte. Unsere beiden Lebenswelten passen einfach nicht (mehr) zusammen. Und ich will auch nicht mehr, dass sie je wieder zusammen passen. Ich will auf keinen Fall so sein wie sie. Ich will auf keinen Fall in dieser kleinen und beschränkten Welt leben, in der sie es tut. Ich will auf keinen Fall, das meine Sicht von der Welt wieder der entspricht, die sie hat. Ich will auf keinen Fall dorthin zurück, wo ich herkomme. Es gibt nur eine Richtung und die ist nach vorn.

Wenn ich mit ihr bin, dann kann ich nicht essen. In mir dreht sich mein Magen um, mir ist übel und eigentlich will ich die ganze Zeit nur schlafen. Mich in mein Bett verkriechen und vor der Realität verstecken. Wenn sie da ist, existiere ich nur – von einem erfüllten und glücklichen Leben kann ich in den Momenten nicht reden. Und gleichzeitig steigt das Gefühl in mir auf, alles von mir wegstoßen zu wollen. Annahme ist in dieser Konstellation die größte Herausforderung. Und das, obwohl ich in so vielen anderen Situationen mittlerweile so gut dazu fähig bin.

Was es so schwer macht ist, dass ich nur diese eine Mutter habe. Und diese hat ihre Spuren in meinem Leben und auch in mir hinterlassen. Natürlich haben wir Ähnlichkeiten und gleichartige Macken. Alles was ich von ihr übernommen habe, verurteile ich an mir und an ihr gleichermaßen. Ich will nicht so sein wie sie und alles, was an mir Ähnlichkeit mit ihr hat, will ich ablegen und hinter mir lassen. Ich spüre die Aggressionen in mir, gegen all dem an mir, das ihr entspricht. Ich weiß, dass sie mich mit vielen Entbehrungen auf diese Welt gebracht hat und dafür bin ich ihr auch sehr dankbar. Aber ich lehne es so sehr ab, dass die Art und Weise wie sie die Welt sieht, meine Sicht der Welt prägte und ich dadurch so vielen Herausforderungen gegenüber stand. Ich bin traurig darüber, dass meine Wurzeln mir den Start in die Welt in vielerlei Hinsicht so schwierig gemacht haben. Ich will nicht unfair sein, denn ich weiß, dass ich mit so vielem gesegnet worden bin. Und doch hätte ich mir gewünscht, dass ich nicht erst so viel Zeit und Kraft darin hinein investieren muss, mich von meiner Vergangenheit und meinen Kindheitstraumen zu lösen.

Ich weiß, dass der Schlüssel zur Lösung nicht in der Isolation, sondern in der Annahme liegt. Indem ich lerne sie so anzunehmen wie sie ist, kann ich auch die Teile von mir annehmen, die ich von ihr übernommen habe und die gut sind. Es sind die letzten Schritte der vollständigen Selbstannahme und es sind die schwersten. Ich habe leider noch überhaupt keine Ahnung, wie ich das bewerkstelligen kann. Aber ich bitte um ein Wunder, dass auch diese Beziehung geheilt werden möge.

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