Tag 96:
Frauentag 2.0

Ich habe es geschafft. Ich kann mich spüren. Und es fühlt sich so gut an. Nicht nur die positiven Sonnenscheingefühle. Auch die negativen Gefühle wie Wut, Trauer und Angst kann ich wahrnehmen, ohne dass ich mich unsicher fühle und weglaufen möchte. Ich habe das Monster gezähmt und es zu einem Teil von mir gemacht. Ich kann ihm angstfrei in die Augen schauen, es an die Hand nehmen und mit ihm Richtung Zukunft laufen. Es ist jetzt eher so wie eines der großen, bunten und kuscheligen Monster aus der Monster-AG. Ich kann mich an diesen neuen Freund anlehnen und gemeinsam können wir über unsere Eigenheiten lachen.

Gemeinsam hinaus ins Leben

Ich habe das Gefühl, dass ich keine Angst mehr vor dem Leben haben muss. Ich habe sogar Lust von ihm hin und wieder mal gepiekt zu werden und mich an ein paar kleineren und größeren Konflikten zu reiben. Leinen los! Jede Wandlung meiner Emotionen betrachte ich als eine neue Chance noch weiter daran zu wachsen und meine gerade so wohl trainierte Gefühlsmuskulatur weiter zu stärken. Auf diese Weise kann ich meine emotionale Stabilität weiter ausbauen. Es macht so Spaß sich auf das Leben einzulassen. Es anzunehmen – so wie es kommt und die Gefühle in meinem Körper tanzen zu spüren.

Es sind nicht mehr die groben Gefühle, die mich ängstigen und mit mir Pingpong spielten. Meine Gefühle sind heute viel feiner und facettenreicher. Und ich kann ganz flexibel zwischen ihnen hin- und herwechseln. Ich fühle eine emotionale Freiheit, die ich so bisher nicht kannte. Dort wo mich früher ein Gefühl komplett in Beschlag genommen hat und alle anderen verdrängte, kann ich heute unterschiedliche Gefühle nebeneinander zulassen. Es ist kein “entweder oder“ – heute steht ein buntes Miteinander auf dem Programm. Ich fühle mich dabei wie ein Beobachter. Der Domteur in der Manege. Und ich schaue mir in Ruhe an was passiert und genieße das bunte Treiben. Ich spüre es als Teil von mir, aber ohne dass es mich beherrschen würde. Alles was da ist, ist einfach gut so. Ich habe das Gefühl, dass mein Herz stark ist und in sich ruht. Ich glaube, dass es sich heute nicht mehr so schnell aus dem Takt bringen lässt. Ob das wirklich stimmt, wird die Zeit zeigen.

Der Deckmantel der Gefühle

In vielen von euch kommt sicher die Frage auf: „Wie hat sie das denn so schnell geschafft?“ und vielleicht sogar ein sehnsüchtiges „Das will ich auch!“ Welche Fragen ihr euch auch immer stellt, ich kann euch sagen, dass es keinen Zaubertrick gibt, der das gleiche bei euch bewirkt. Diese Entwicklung ist eine ganz individuelle. Alles was es braucht liegt in jedem von euch selbst. Zeit und Raum. Beides liefert die Grundlage, um ganz tief in euch selbst hineinzuspüren. Und zugegeben: Gerade am Anfang würde ich jedem eine professionelle Begleitung empfehlen, der einem zeigt wie man die Tür zu sich selbst öffnet. Soweit, bis ihr selbst den Weg kennt und ihn immer wieder gehen könnt.

Alles was ich in den letzten drei Wochen gemacht habe, ist den Gefühlen in mir Raum zu geben, sobald sie aufkamen. Ich habe sie zugelassen und ich habe mich diesen Gefühlen angenommen. Ich habe ganz tief in diese Empfindungen hineingespürt. Ich habe sie seziert und sie unter der Lupe angeschaut. Ich habe jedes Detail ihres Wesens studiert und mir angehört, was sie mir sagen wollten. Ich legte das Gefühl bzw. die Gefühlsnuance hinter dem Gefühl frei. Und jede weitere Nuance, die ich zum Vorschein brachte, befreite mich von meinen Ketten. Ketten, die meine unerlaubten Emotionen festhielten und einem befreitem (Gefühls-)leben im Weg standen.

Früher mussten sich meine Gefühle oft ein Mäntelchen überziehen und sich verkleiden, damit ich sie in mein Leben hinein ließ. Sie mussten sozusagen der Wolf im Schafspelz sein – mit Kreide in der Kehle – sodass ich ihnen die Tür aufmachte. Sie wussten, dass ich sie sonst nicht angenommen und direkt wieder fortgeschickt hätte. Und so war hinter den Gefühlen von Unzulänglichkeit, Unsicherheit und der Sehnsucht nach Anerkennung sehr oft Wut und Angst versteckt. Indem ich allen Gefühlen – auch den ungewohnten und verdrängten – ihre Daseinsberechtigung zusprach, befreite ich mich von unangebrachten Verboten. Indem ich das Monster befreite, befreite ich mich selbst.

Ich habe tatsächlich in den letzten Wochen oft stundenlang in mich hinein gespürt. Ich habe mich auf den Boden oder auf meine Couch gelegt und mich in eine Art meditative bzw. hypnotische Trance versetzt. Dabei war ich ganz bei und in mir. Ich hatte teilweise das Gefühl mich dauerhaft in einem meditationsähnlichen Zustand zu befinden. Absolut fokussiert und in diesem oder jenem Gefühl verwurzelt ohne darin verhaftet zu sein. Und je mehr ich dem Rauschen zuhörte, desto feiner wurden seine Töne. Die wilde See in mir fühlte sich mitten in den Wellen auf einmal gar nicht mehr so wild an. Der Blick vom Strand auf die Wellen war viel beängstigender als das Gefühl in ihnen zu schwimmen. Und je mehr ich spürte, dass mich die Wellen tragen, je mehr ich mich ihnen hingab, desto leichter wurde das Spielen mit meinen emotionalen Wellen. Und desto mehr Sicherheit fühlte ich in meinem Umgang mit ihnen.

Diese Zeit und diesen Raum, die ich mir in den letzten Wochen nahm, um für mich selbst dazusein und diesen unbekannten Teilen von mir Platz zu machen, haben wir in unserer heutigen schnelllebigen Welt selten. Wann haben wir heute denn wirklich mal Ruhe, um uns ganz auf uns zu besinnen? Irgendwo ist immer etwas los. Und wenn nicht in der analogen Welt, dann sicher in der digitalen. Unsere modernen Technologien sind nicht nur vielfach Roboter und Maschinen. Sie machen uns auch mehr und mehr zu solchen. Denn sie berauben uns vielfach dem, was uns Menschen zu Menschen macht. Die Fähigkeit zu fühlen. In uns selbst und in andere. Je mehr Stress wir haben, desto mehr sind wir im Kopf. Unser Rechenzentrum arbeitet wie verrückt, um eine Lösung zu finden. Doch nicht alle Probleme sind mittels des Verstandes zu lösen.

Wir werden für Erfolge wertgeschätzt, die darauf aufgebaut sind, dass wir uns nicht fühlen und unsere Bedürfnisse unterdrücken. Ich erinnere mich an das Lernen für mein Abitur und jede meiner Medizinerprüfungen. Meine Erfolge erreichte ich euch deshalb, weil ich in der Zeit der intensiven Prüfungsvorbereitung mich selbst und meine Gefühle auf ein Minimum zurückfahren konnte. Die Sehnsucht nach dem nächsten Erfolg und der damit verbundenen Anerkennung bzw. die Angst vor einem möglichen Scheitern und dem damit einhergehenden Verlust meines Selbstwerts waren so übermächtig. Sie waren mit ihren Stimmen lauter als die leisen Stimmen meiner emotionalen Bedürfnisse.

Es ist daher so wichtig, dass wir uns unserer emotionalen Bedürfnisse bewusst werden.

Was brauche ich um zu funktionieren?
Wann bin ich glücklich?
Wann bin ich mit mir verbunden?
Wann bin ich die beste Version meiner Selbst?
Wer möchte ich sein, wenn ich alles machen dürfte und alles erreichen könnte? Ganz ohne Druck und Erwartungen von außen.

Mit dieser neuen emotionalen Bandbreite fühle ich mich stärker als jemals zuvor. Und ich wünsche jedem Menschen auf dieser Welt, dass er diese emotionale Freiheit spüren kann. Denn wenn wir von Unabhängigkeit und Gleichberechtigung sprechen, dann gehört die Freiheit von Ängsten und Abhängigkeiten zu diesem Bild unabdingbar dazu. Dieses errreichen Menschen nicht einfach dann, wenn sie als „gleichberechtigt“ betitelt werden. Wirkliche Freiheit erreichen wir nur, wenn wir diesen inneren Wandel vollziehen und uns freimachen von all dem, was uns mitgegeben wurden. Wenn wir die Haut der Erwartungen abstreifen und uns erlauben wir selbst zu sein. Nur wenn wir unserem Selbst Raum und Zeit zur Entfaltung geben, entledigen wir uns aller Abhängigkeiten und spüren die Stärke, die wir in uns tragen. Nur dann werden wir den Platz in dieser Gesellschaft einnehmen können, der uns gebührt. Nur wenn wir unsere innere Stärken wachsen lassen und sie zum Leuchten bringen, anstatt uns von den Glaubenssätzen unserer Kindheit fesseln und knebeln zu lassen, steht uns die Welt offen.

Ein kleiner Aufruf zum Weltfrauentag:

Lass dir nicht sagen, wer du sein sollst. Spür in dich hinein wer du bist. Wer DU bist. Lass dir nicht sagen, dass du eine moderne karriereorientierte Powerfrau sein müsst, die Job, Familie, Freunde und Hobbies mit links bewältigt. Sei die Frau, die du sein willst. Eine Mutter, die für ihre Kinder da ist, ist genauso viel Wert wie eine Frau im Vorstand oder ein kleines Mädchen, das unbeschwert über eine Blumenwiese springt. Deinen Selbstwert und deinen Platz in der Welt bestimmst allein du. Dein Wert ist nicht von dem bemessen was du im Leben erreichst. Denn du bist auf deine ganz eigene Weise wundervoll. Das einzige was zählt, ist deine ganz eigene Wahrheit zu finden. Und die steckt allein in dir. Manche Menschen können dir helfen, näher mit dieser Wahrheit in Kontakt zu kommen. Aber nur du kannst dich tatsächlich langfristig mit ihr verbinden. Die Kraft dafür liegt in der Entscheidung dich und dein Glück mit Einfühlsamkeit und Achtsamkeit zu behandeln. Und dir selbst Raum für deine ganz eigene freie Entfaltung zu schaffen. Verschiebe es nicht wieder auf morgen oder in eine unbestimmte Zukunft. Sei heute für dich da. Fang heute damit an einen Schritt auf die Frau zuzugehen, die du selbst sein möchtest. Spüre in dich hinein und erkunde dich selbst. Heute ist es vielleicht ein kurzer Moment, morgen ein wenig länger und irgendwann wirst du das Hineinspüren in dich selbst und das Wahrnehmen deiner Gefühle und Bedürfnisse verinnerlicht haben. Und wenn du im Einklang mit deinen Gefühlen lebst, wirst du die wundervollste Version deiner Selbst sein. Du wirst dich gegenüber anderen durchsetzen können, genauso wie du sie gleichzeitig mit Wohlwollen behandeln kannst. Du wirst deinen Wert kennen und für ihn einstehen sowie du auch den der anderen Menschen um dich herum erkennst. Du wirst dein ganz individuelles Licht in diese Welt tragen. Und so wird sich keine andere Person über dich stellen können. Denn diese Reinheit, Klarheit und Stärke, die du dann ausstrahlst, ist stärker als jegliches Machtstreben anderer. Der erste Schritt zur Befreiung ist der Weg zu dir. Geh ihn. Und fange heute damit an.

Ich bin heute eine andere Frau. Vielleicht das erste Mal in meinem Leben eine Frau und nicht nur ein kleines bedürftiges Mädchen, das sich nach seinem Papa sehnt. Und nein, ich bin gewiss noch nicht am Ende meines Weges. Aber zumindest auf einem guten Weg. Diese Stärke und Sicherheit, die ich gerade in mir spüre,  würde ich am liebsten in kleine Flaschen abfüllen und jedem und jeder von euch zugänglich machen. Fühlt euch gedrückt.

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4 Gedanken zu „Tag 96:
Frauentag 2.0
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  1. Spielregeln für Männer, die mich lieben wollen

    Mich zu lieben, muß ein Mann
    von meiner Haut den Vorhang wegziehen,
    bis auf den Grund meiner Augen sehen
    und erkennen, daß in mir nistet
    die durchsichtige Schwalbe Zärtlichkeit.

    Mich zu lieben, darf ein Mann
    mich nicht wie eine Ware besitzen wollen,
    mich nicht vorführen wie eine Jagdtrophäe;
    er wird an meiner Seite stehen
    mit der gleichen Liebe,
    wie ich an der seinen.

    Mich zu lieben, muß die Liebe
    eines Mannes stark sein wie Ceibobäume,
    so schützend und sicher
    und klar wie ein Dezembermorgen.

    Mich zu lieben, darf ein Mann
    meinem Lächeln nicht mißtrauen,
    mein volles Haar nicht fürchten,
    er soll Trauer und Schweigen achten
    und auf meinem Leib mit Liebkosungen spielen,
    wie auf einer Gitarre, Melodien
    und Freude aus der Tiefe meines Körpers locken.

    Mich zu lieben, muß ein Mann
    in mir das Bett für die Last seiner Sorgen sehen,
    eine Freundin, mit der er seine Geheimnisse teilen kann,
    einen See, in dem er treibt
    ohne Angst, daß ein Anker von Verpflichtungen
    ihn am Fliegen hindert, wenn er Lust hat, ein Vogel zu sein.

    Mich zu lieben, muß ein Mann
    Poesie aus seinem Leben machen,
    jeden Tag neu gestalten
    mit dem Blick in die Zukunft.

    Mich zu lieben aber muß ein Mann
    vor allem mein Volk lieben,
    nicht als abstrakten Begriff
    aus dem Ärmel gezogen,
    sondern als etwas Wirkliches, Greifbares,
    dem er mit seinen Handlungen Ehre macht
    und sein Leben gibt, wenn es notwendig ist.

    Mich zu lieben, muß ein Mann
    mein Gesicht im Schützengraben erkennen,
    mich lieben mit dem Gewehr im Anschlag,
    wenn wir beide gemeinsam auf den Feind zielen.

    Die Liebe meines Mannes
    scheut nicht, sich hinzugeben,
    noch fürchtet sie, auf einem belebten Platz
    sich im Zauber des Verliebtseins zu entdecken.
    Er kann laut rufen: Ich liebe dich,
    oder Anschläge an die Häuser kleben,
    die sein Recht auf das herrlichste und menschlichste
    aller Gefühle proklamieren.

    Die Liebe meines Mannes
    flieht nicht vor Küchendunst
    und nicht vor Kinderwindeln,
    wie ein frischer Wind ist sie,
    der in Wolken aus Traum und Zeit
    die Hemmnisse davonträgt, die uns über Jahrhunderte trennten
    wie verschiedenartige Wesen.

    Die Liebe meines Mannes
    will mich nicht festlegen, nicht einordnen,
    sie gibt mir Luft, Nahrung, Raum,
    zu wachsen und reicher zu werden,
    so wie jeder neue Tag
    eine Revolution entfaltet. 

    Hi Lena,
    dieser Text von Giaconda Belli soll mein Beitrag zum Frauentag 2.0 sein.
    Giaconda Belli ist als nicaraguanische Schriftstellerin und Lyrikerin eine der international bekanntesten lateinamerikanischen Autorinnen.Ich persönlich glaube, das wirklich starke Frauen nicht über ihre Stärke sprechen, sondern durch ihre Handlungen wie selbstverständlich offenbaren.Wieso ist es für viele so schwer zu begreifen, das die vorbehaltlos kombinierten Stärken beider Geschlechter die größten Synergieeffekte und damit Erfolge bringen. Beide „Rassen“ sind weit mehr als nur „ Fortpflanzungskompatibel“! – in diesem Sinne grüße ich alle starken Frauen und die, die es werden wollen aufs herzlichste. Und gebt Gas, wir brauchen noch mehr von euch…!

    Liebe Grüße – Roger

    1. Lieber Roger,

      das Gedicht ist wunderschön. Ich muss es erst einmal sacken lassen.

      Und bezüglich der Synergie der Geschlechter: Ich weiß was du meinst und ich stimme dieser Ansicht zu. Und im gleichen Augenblick hadere ich ob der Ungleichberechtigung, die daraus entsteht. Ich mag in dem Bereich das Konzept von Yin und Yang – und ob Frau oder Mann Yin oder Yang ist, muss jedes Paar für sich selbst entscheiden.

      Liebe Grüße
      Deine Lena

  2. Das hört sich toll an. Und ich glaube auch, dass das der Trick ist, sich Zeit für sich zu nehmen, darauf warte ich gerade, dass ich die haben werde. Ist mit zwei Kindern alleine aber nicht so einfach… Ich freu mich auf jeden Fall sehr für dich und hinke etwas hinter dir her.
    Alles Liebe Tina

    1. Liebe Tina,

      danke für dein Feedback. Ich denke, dass das Thema “Zeit für sich” in einer Leistungsorientierten Welt eine der Hauptherausforderungen für unsere langfristige Gesundheit darstellt. Und es ist nicht immer einfach sich unter Druck und Stress immer richtig zu entscheiden. Oftmals wünsche ich mir, dass wir wieder zu “humanen”Arbeitsbelastungen kommen und den Durchschnitt der Wochenarbeitszeit immer weiter nach oben verlagern. Denn nur wenn “sich zeit für sich nehmen” gesellschaftlich akzeptiert ist, dann wird sich unsere Welt in eine bessere Richtung entwickeln.

      Beste Grüße
      Lena

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