Tag 92:
Meine Seele ist gespalten

Ich lese gerade ein Buch, das das Thema meiner „Büchse der Pandora“ wundervoll in den traumatherapeutischen Kontext rückt. Es heißt „Seelische Spaltung und innere Heilung“ und ist von Franz Ruppert. Darin wird das Konzept der seelischen Spaltung aufgrund erlebter Traumata im Detail beschrieben. (Ich kann dieses Buch wirklich sehr empfehlen. Insbesondere für alle, die das Gefühl haben, dass sie mehr als eine Seele in ihrer Brust haben.)

Ruppert beschreibt darin wie ein Trauma eine Seele in drei (oder mehr) verschiedene Bereiche teilen kann. Das was in der Situation als unaushaltbar erlebt wird, wird in einen traumatisierten und abgekapselten Teil der Seele abgeschoben. Das ist die Kiste, von der ich im letzten Beitrag sprach. Dort wird all das eingeschlossen, was dem „normalen“ Weiterleben der Person im Weg stehen würde. All die negativen Gefühle und auch die Erinnerung an die Traumasituation. Gleichzeitig entsteht spiegelbildlich zu diesem Traumaanteil auch ein Überlebensanteil. Dieser versucht das Funktionieren der traumatisierten Person in der Welt zu gewährleisten. Er wirkt wie ein Schutzschild davor, dass die Person mit dem alten Trauma und den damit verbundenen Seelenanteilen nochmals in Kontakt kommt. Dieser Anteil will verhindern, dass die alten Wunden wieder aufgerissen werden und es ggf. zu einer Retraumatisierung im Sinne eines Zusammenbruchs des Individuum kommt.

Dafür entwickelt dieser Teil Abwehrmechanismen, die anspringen, wenn der Mensch in seinem Leben in zu nahen Kontakt mit Dingen kommt, die eine Verbindung zu dem alten Trauma haben. In meinem Fall entspringt das sprunghafte Verlieben und das plötzliche Entlieben dem Abwehrmechanismus meines Überlebensanteils. Er meint es nicht böse. Er will mich nur zum einen davor schützen, allein mit mir zu sein und so meine alten Traumen zu reflektieren. Er schüttet quasi immer neuen Sand auf die von mir freigelegten Areale. Was er dafür leider tun muss, ist mich davon abzubringen eine tiefere Form der Liebe zuzulassen. Denn Liebe ist durch meine Vergangenheit mit diesen negativen Gefühlen verstrickt. Ein Kontakt mit Liebe würde mich zwangsläufig auch mit den anderen Gefühlen in meiner Kiste in Kontakt bringen. Neben diesen beiden rivalisierenden Anteilen, gibt es als dritten und ursprünglichen Anteil den gesunden Anteil der Seele. Diesen gilt es zu stärken, damit der Überlebensanteil nicht ständig das Zepter in der Hand hält (siehe Abbildung, Quelle Franz Ruppert).

Wenn dieser gesunde Anteil von der Existenz der anderen weiß, kann er mir Ihnen umgehen und sich um ihre Bedürfnisse kümmern oder sie in ihre Schranken weisen. Dieses Wissen stärkt den gesunden Anteil und hilft ihm zwischen Trauma- und Überlebensanteil zu vermitteln. Dank der Realisierung dieser Zusammenhänge, wächst eine neue Klarheit in uns heran. Wie verstehen unsere Gefühle, Gedanken und unser Verhalten besser und fühlen uns weniger getrieben und ferngesteuert. Das Chaos, das der Überlebensanteil oft in guter Absicht anstellt, kann so besser im Zaum gehalten werden.

Das, was es braucht, um innerlich heilen zu können ist Ruhe. Wir müssen es schaffen den Lärm des Lebens herunterzuregeln und den Überlebensanteil ein wenig leiser zu bekommen. Wenn wir es schaffen, dass der Überlebensanteil eine kurze Pause macht, kann es uns gelingen zu den traumatisierten Anteilen unserer Seele vorzudringen und diesen wahrzunehmen, anzunehmen und zu heilen. Eine Grundvoraussetzung, um den Überlebensanteil herunterzuregulieren, ist ein starker gesunder Seelenanteil. Erst wenn dieser mit Bereitschaft und aufrichtigem Interesse diese Gesamtsituation erforschen und an ihr etwas ändern möchte, kann eine innere Transformation gelingen.

Dieses Konzept hilft mir zu verstehen, warum ich mich oft so ambivalent fühlte und warum ich in meiner Lebens- und Beziehungsführung stets so sprunghaft war. Ich konnte mich immer extrem schnell euphorisch in etwas hineinsteigern sowie alles was ich mir mühsam aufgebaut hatte, in einem Atemzug wieder einreißen. Diese Spaltung aufzulösen, wird mir nicht nur helfen langfristig harmonische Beziehungen zu führen und Liebe zuzulassen. Es wird mir auch helfen Stabilität und Klarheit in meinen eigenen Lebensweg zu bringen.

Meine Therapie: Desensibilisierung 

Ich vergleiche den Weg zum Öffnen meiner Kiste daher eher wie eine Desensibilisierungstherapie in der Allergologie. Ist ein Mensch gegen etwas allergisch, kann er keine große Portion der allergieauslösenden Substanz aushalten. Sie könnte ihn möglicherweise in einen allergischen Schock führen und ihn töten. Eine probate Therapie ist stattdessen (zumindest bei einigen Allergiearten) den Patienten mit kleinen Dosen, der für ihn so gefährlichen Substanz in Kontakt zu bringen. Am Anfang startet man mit einer winzigen Menge. So wenig, dass kaum eine Gefahr für den Patienten besteht. Über die Zeit steigert man die Konzentration schrittweise. Der Patient bekommt in regelmäßigem Abstand eine Spritze mit einer Mischung gesetzt, die Mal für Mal mehr von dem allergieauslösenden Stoff beinhaltet. Man gewöhnt ihn so an den Stoff, den er bis dato in normalen Mengen nicht toleriert hat. Sein Körper versteht so über die Zeit, dass er mit der Gefahr umgehen kann und die Substanz eigentlich kein Problem für ihn darstellt. Am Ende ist die Allergie verschwunden oder zumindest deutlich reduziert.

Ja, ich bin wohl im übertragenen Sinne allergisch gegen die Liebe. Wenn ich mit Liebe in Kontakt komme, spielt mein emotionales System verrückt. Ich erleide einen “emotionalen Schock”. Was ich daher tun muss, ist mich mit der Liebe in winzigen Dosen und unter Beobachtung in Kontakt zu bringen und so zu lernen mit ihr selbst sowie den anderen Gefühlen umzugehen, die zusammen mit ihr aus meiner Kiste freigelassen werden. Ich muss mich diesen Gefühlen aussetzen und mich an sie gewöhnen. Die guten und aufregenden genauso wie die negativen und Angst auslösenden. Ich muss mir neue Gefühls- und Verhaltensweisen antrainieren, die mir helfen werden besser mit meinen Emotionen umzugehen. Und dafür braucht es Geduld und Disziplin, die Dosen schrittweise zu steigern und nicht doch gleich wieder von einer geringen Dosierung auf Liebe im Übermaß umzuspringen. Nur um dann wieder in einen “emotionalen Schock” zur Verfallen, die Notfalltherapie zu brauchen und wegzulaufen. Ich werde mich hier ganz schön am Riemen reißen müssen. Schließlich will mein altes bzw. noch derzeitiges Ich alles immer jetzt und sofort. Das Gute ist, dass ich jetzt zumindest eine Idee davon habe, wie ich mit dieser Allergie umgehen und sie hinter mir lassen kann. Dadurch fühlt sich diese neue Erkenntnis bewältigbar an. Ich hoffe, dass mein Therapievorschlag Wirkung zeigt.

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4 Gedanken zu „Tag 92:
Meine Seele ist gespalten
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  1. Doch wir leben in einer erschreckenden, entmenschlichten Zeit, in einer „Zeit des Tieres“, die in immer schnelleren Schritten ins Verderben rennt, in einer Zeit, in der dem Dämon erlaubt ist den Verstand zu verdunkeln. „Mutter Theresa“ sprach es schon bei ihrer Friedens Nobelpreisverleihung deutlich aus, als sie offen die Vernichtung der Kinder im Mutterschoß (der inzwischen gefährlichste Ort für ein Kind) als den größten Zerstörer des Friedens bezeichnete. Machen wir endlich Schluß mit dem „ Baalskult“ der dem „Moloch Sex“ Menschenopfer wie in der Antike darbringt. Um dies zu verdeutlichen wäre die Bemühung für einen öffentlichen Empfang des Hohen Hauses in Berlin eines seine Abtreibung überlebenden traumatisierten Menschen heilsam. Die seit Jahrzehnten damit befaßte Europ. Ärzteaktion könnte evtl. Hilfsstellung geben.

  2. Nur nicht

    Das Leben wäre vielleicht einfacher,
    wenn ich dich gar nicht getroffen hätte.

    Weniger Trauer
    jedes Mal, wenn wir uns trennen müssen,
    weniger Angst
    vor der nächsten und übernächsten Trennung.

    Und auch nicht soviel
    von dieser machtlosen Sehnsucht,
    wenn du nicht da bist,
    die nur das unmögliche will
    und das sofort,
    im nächsten Augenblick
    und die dann,
    weil es nicht sein kann
    betroffen ist und schwer atmet.

    Das Leben wäre vielleicht einfacher,
    wenn ich dich nicht getroffen hätte.
    Es wäre nur nicht mein Leben.

    Hi Lena,

    die Zeilen oben sind von Erich Fried. Als mir die das erste Mal in die Augen fielen, war das für mich ein ganz intensives Erlebnis. Ich hatte ein ziehen im Bauch, ähnlich dem, das vielleicht manche Menschen spüren, wenn sie die Liebe auf den ersten Blick erfahren. Es war wohl die schlichte Wahrhaftigkeit der Zeilen, die mich flashte, weil sie Erinnerungen aus längst vergangenen Zeiten mit Wucht wieder hervorholten und mir damit eben die damals gefühlte „machtlose Sehnsucht“ ins Gedächtnis zurückriefen. Allerdings war der Flashback nur von kurzer Dauer, weil mir die mit jedem Tag fortlaufend erweiternden Lebens-Erfahrungen geholfen haben, die auf mich eindringenden Erlebnisse besser zu verarbeiten und einzukategorisieren.

    Interpretation 1- aus deiner Sicht:
    Das Monster hat dir eine Leiter hingestellt und dich Sprosse um Sprosse hochbegleitet. Aber irgendwann bemerkst du, das die Leiter mit jedem Schritt höher mehr und mehr schwankt! Dir wird schwindelig und du erkennst, das du abstürzen wirst, wenn du weiter hochgehst. Aber oben ist die Sonne und Wärme,suggeriert dir das Monster, während es dir gleichzeitig den Weg nach unten versperren will. Die Trauer die du spürst, entspringt der Angst das „Schlechte“ aber so vertraute loszulassen – Stück für Stück/ Sprosse für Sprosse wieder hinab. Nachdem du das Monster zur Seite gestoßen hast, kletterst du nun mit immer kälter werdenden Fingern hinunter. Es ist sehr anstrengend und du haderst deswegen, denn du würdest gern viel schneller sein auf deinem Weg in`s richtige Leben. Du vermisst einen neuen „guten“ Wegbegleiter, der dir dabei hilft und plötzlich ist er da – Es ist die Akzeptanz für dein vorheriges Leben mit all seinen Fehlern und Verwundungen. Sie nimmt dir das hadern um das Vergangene und leitet die dadurch frei werdende, zusätzliche Energie um, so das du schneller wirst auf deinem Weg. Als du wieder den sicheren Boden unter den Füßen hast, wartet dort noch etwas vertrautes auf dich von dem du weißt, das es früher ganz anders aussah. Jetzt ist es größer und strahlt eine Wärme aus, die dich sofort umgibt und dich wohlfühlen lässt. Als du fragst.“ wer bist du?“ sagt es nur:“ deine Erfahrung!“

    Interpretation 2 – aus der Sicht des Monsters:
    Ich wurde zu dir gerufen, irgendwann..
    und ja, ich hörte auch deine Stimme unter den Rufern.
    Wir hatten eine irre Zeit, ich wollte nie wieder weg.
    Aber was ist jetzt los mit dir?
    Warum weist du mich ab?
    Wo soll ich jetzt hin?
    Ich bin so ohne dich
    Ich will das nicht!
    Denkst du vielleicht grad an mich?
    Nein, ich fühle, du willst nicht mehr!
    Du nimmst mir alle Kraft…
    Hätte ich nur jemand anderen gefunden
    aber ich war nur für dich bestimmt….

    Das sind nur zwei von sicher unzähligen Interpretationsmöglichkeiten. Meine beziehen sich auf deinen Blog. Denn so eine Art Zwiesprache zwischen den von dir genannten Anteilen muss ja zwangsläufig stattfinden.Wie weit man wohl als Betroffener diese Art der Kommunikation moderieren, oder besser noch in die richtige Richtung lenken kann?
    Du bist dabei, es herauszufinden, nicht wahr?

    Ich grüß dich herzlich – dein Roger

    1. Mein Lieber,

      da packst du wieder wahnsinnig viel Inhalte und Tiefe in deine Zeilen. Respekt.

      Meine Interpretation: Auch das Monster hat erkannt, dass das andere Ende von der Leiter, das interessantere und echtere ist. Es ist nicht entweder oder, es ist miteinander.

      Hab einen schönen Abend.

      Liebe Grüße
      Deine Lena

      1. Stimmt Lena – ich hatte die dritte Interpretation noch offen gelassen. Es wäre eine Zwiesprache des Monsters mit dir gewesen…- du hast sie in Kurzform geliefert! Danke schön dafür. Mir scheint, wir haben eine sehr große Schnittmenge an gleichen Gedankenansätzen, bzw. ergänzen einander gut. Das ist schön und bereichernd…- liebe Grüße zurück – dein Roger

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