Tag 84:
Das eigene Vakuum mit Anerkennung füllen

Je mehr ich darüber nachdenke, aus welchen Gründen ich in der Vergangenheit Beziehungen führte, desto weniger wundert es mich, dass diese in die Brüche gegangen sind. Ich hatte Männer nicht um ihrer selbst wegen, sondern aus dem Wunsch heraus, dass sie meinen eigenen Wert steigern mögen. Meine Männer waren wie Abzeichen, die ich mir an mein Revers pinnen konnte. Die Defizite verdeckend, die ich glaubte zu haben.

Meine Suche nach Männern, war von Attributen bestimmt, die ich nach außen zeigen konnte. Ich hoffte, dass ihr Strahlen und Können auf mich abfärben würde. Ich versuchte mit ihnen mein eigenes Vakuum zu füllen.

Als ich noch jünger war, hatte ich Männer eher wie andere Handtaschen oder teure Uhren haben. Sie waren mein Statussymbol nach außen. Hübsch mussten sie sein und gut vorzeigbar. Ich hatte den Super-Sportler, das Super-Model, den Super-Unternehmer… Super war das wichtigste Auswahlkriterium. Sie sollten meinen mangelnden Selbstwert stärken. Ein solch hübscher, erfolgreicher oder intelligenter Mann an meiner Seite, war aus meiner damaligen Sicht wie ein Abzeichen. In der Tatsache, dass solch ein Mann mich liebte und sich für mich entschied, sah ich die Bestätigung, dass ich doch nicht so schlecht und ungenügend sein könnte, wie ich es tief in mir glaubte. Solch ein Exemplar zu ergattern, musste bedeuten, dass ich gut bin. Zumindest besser als ich für mich allein. Von ihnen gesehen und geliebt zu werden, katapultierte meine Sicht auf mich selbst meilenweit nach oben. Mit ihnen zusammenzusein war keine Liebe, es waren Egotrips. Jede Faser von ihnen waren kleine und hochpotente Ego-Pillen, die ich mir tagtäglich einwerfen konnte. Ich wurde abhängig. Abhängig von ihnen mir meinen Selbstwert aufzupolieren und abhängig von all dem was ich tat, um ihnen ebenbürtig zu sein.

Deshalb klammerte ich auch so an ihnen, auch wenn meine Liebe zu ihnen schon längst nur noch auf geringer Flamme loderte oder schon längst ausgegangen war. Sie waren mein Selbstwert-Booster. Ihr Sixpack, ihr Erfolg, ihre Eloquenz. Ich verliebte mich in Dinge, die ich für mich selbst suchte und damals (noch) nicht finden konnte. Wie auch, ich suchte sie an den falschen Orten. Indem es mir aber gelang einen Mann zu finden, der diesen oder jenen von mir so ersehnten Aspekt verkörperte, schaffte ich es durch ihn dieses in mein Leben zu integrieren. Sie waren mein Vehikel an dem ich mich festhalten und dem ich nacheifern konnte.

Wie oft habe ich mich demütigen lassen, um diesen oder jenen Superman zu halten. Wie oft war ich verständnisvoll, um das nach außen sichtbare Abzeichen an meiner Jacke nicht zu verlieren. Ich vergötterte ihre Rollen und hoffte an ihrer Seite möglichst hell zu strahlen. Ihre Probleme nahm ich dabei in Kauf. Sie waren der Gegenwert, den ich für das Aufpolieren meines Selbstwertgefühls bezahlen musste. Nicht wissend, dass dies einen Teufelskreis erzeugte, dem ich lange brauchte zu entkommen.

Je öfter meine Beziehungen scheiterten, desto mehr suchte ich meine Anerkennung und Bestätigung in meiner Arbeit. Anstatt auszuheilen was falsch lief, verschob ich einfach meine Probleme auf ein anderes Gebiet. Ich zog mich aus zwischenmenschlichen Beziehungen zurück, damit ich noch fokussierter auf mein Tun ausgerichtet sein konnte. Ein Tun, das mir eine Bühne der Bewunderung gab. Für meinen Ehrgeiz und meine guten Leistungen wurde ich auf eine wundervolle Art und Weise belohnt. Ganz anders als in den Beziehungen zu den lieben und bodenständigen Männern. Da wollte jemand einfach nur, dass ich bin ohne ständig zu streben und das machte mir Angst. Eine Liebe, die bedingungslos einfach nur mich meint, war ich nicht gewöhnt. Es verunsicherte mich. Ich wusste nicht wie ich damit umgehen sollte und weil ich immer nur höher, weiter und schneller gewöhnt war, konnte ich mit dem einfach nur sein nicht umgehen. Ich stieß die Menschen von mir weg, die nur mich ohne meine Taten wollten. Ich hatte Angst, dass sie mir das nehmen wollen würden, auf das ich all meinen Selbstwert aufgebaut habe. Ich hatte Angst all das zu verlieren, was mich zu dem damaligen Zeitpunkt ausmachte.

Damals war ich nicht in der Lage mich selbst zu fühlen. Ich spürte nur meine Leistungen und den Schmerz, den das Streben danach in mir erzeugte. Ich fühlte mich nur lebendig, wenn das Adrenalin und die Stresshormone durch meinen Blutkreislauf wirbelten und mich wach und leistungsstark fühlen ließen. Ich war dieses Tun. Voll und ganz. Und je mehr ich mich mit meinen Erfolgen identifizierte, desto weniger konnte ich davon abrücken und Schwäche zulassen. Diese Schwäche hätte all das gefährdet, dass ich mir mit so viel Entbehrung erarbeitet hatte.

Es dauerte lange bis ich erkannte, dass ich dieses Vakuum in mir nicht mit Anerkennung füllen kann, sondern dass es Liebe zu mir selbst braucht. Ich musste und muss immer noch lernen, dass ich einfach sein darf und dafür gemocht – ja vielleicht sogar geliebt – werde. Das Menschen nicht mit mir Zeit verbringen, weil ich etwas für sie tue, sondern einfach nur, weil ich ich bin. Und dass dieses ich selbst sein ausreicht.

Wenn ich heute darüber nachdenke, dann gibt es immer noch Momente in denen ich ungläubig darüber nachdenke. Wie? Einfach so geliebt werden ohne etwas dafür tun zu müssen? Eine solche Liebe scheint mir immer noch wie von einem anderen Stern. Aber ich mache mich mit dem Konzept vertraut. Ich zeige mich ungeschminkt ohne hübsch zurecht gemachte Haare und bin. Ich akzeptiere mich mit meinen Höhen und Tiefen und realisiere, dass ich mich nicht mehr oder weniger mag wenn ich mal einen schlechten Tag habe. Sondern dass all das zu mir gehört und es gut und richtig ist. Ich beginne zu glauben, dass dies auch ein anderer Mensch so empfinden kann. Dass Liebe nicht etwas fluktuierendes ist, dass nur bleibt, wenn ich alles richtig mache. Sondern dass Liebe ein beständiges Gefühl für einen anderen Menschen sein kann.

Diese Woche hatte ich dazu eine schöne Erfahrung. Ich traf mich mit einem guten Freund – gemeinsam Kochen, Quatschen und danach landeten wir auf der Couch, um noch einen Film zu schauen. Immer wenn ich ihn sehe, habe ich einen Impuls ihm nah sein zu wollen. Ich wollte noch nie mit ihm schlafen. Auf dieser Ebene würden wir nicht funktionieren. Aber ich mag es mit ihm auf der Couch zu liegen und zu knuddeln. Einfach ein bisschen die Kuschelakkus auftanken.

An diesem Abend erkannte ich eine wichtige Sache. Obwohl ich das Gefühl hatte mich an ihn kuscheln zu wollen, konnte ich einen Schritt zurücktreten und reflektieren. Ich wollte lernen den Moment mit ihm zu genießen ohne, dass er zu meinem Bedürfnisbefriediger würde. Ich habe in den letzten Wochen wieder ein wenig das Bedürfnis nach menschlicher Nähe. Eine Umarmung, ein beieinander Liegen, ein Kuss. Aber anstatt diese Sehnsucht danach mit ihm auszuleben, zwang ich mich einfach nur dankbar zu sein für die gemeinsamen Momente, die ich mit ihm erleben darf. Und anstatt Nähe bei ihm zu suchen, mir selbst nahe zu sein. Ich versuchte die Verbundenheit zu spüren, ohne dass diese auf körperlicher Ebene erfahrbar sein musste. Ich ließ mich darauf ein alles so zu belassen wie es war ohne etwas zu tun, das das Ganze einen Schritt weiter bewegen würde. In eine Richtung, die ich gar nicht wollte. Ich lernte mich zu beherrschen und dies zu genießen.

Genau diese Lektion zu lernen ist für mich und meine Zukunft mit Männern so wichtig. So oft war ich die treibende Kraft in Sachen Annäherung. Vor allem deshalb, weil ich das tätig sein und etwas nach vorn treiben und entwickeln so sehr gewöhnt war. Diesen Abend einfach nur zu sein ohne etwas zu tun und zu spüren wie wir die gemeinsame Zeit beide trotzdem so sehr miteinander genoßen, tat so gut und war so heilsam. Ich hatte immer das Gefühl, dass sich ein Mann nur in mich verlieben würde, wenn ich möglichst früh meine Fähigkeiten insbesondere in der Horizontalen unter Beweis stellen würde. Ich benutze Sex, um von mir zu überzeugen. Ich wusste, dass dies eine meiner stärksten und überzeugendsten Disziplinen war. Mit jedem Blowjob hatte ich das Gefühl meinen eigenen Wert zu untermauern. Jeder sexuelle Wunsch, den ich erfüllte, war aus meiner Sicht der Beweis, dass ich eine gute Partie bin.

Ich verstehe erst jetzt, dass wahre Liebe nichts damit zu tun hat sich mit seiner Palette an Fähigkeiten zu beweisen und das diese Art von Liebe durch zu viel Tun und zu wenig Sein eher abgeschreckt wird. Mich dieser Art des Zusammensein mit anderen zu öffnen, tut mir so unfassbar gut. Ich erkenne, dass ich sein darf und der andere sich danach trotzdem noch mit mir treffen möchte. Dass ich mich nicht körperlich beweisen muss, um gemocht zu werden. Das ich es Wert bin, dass Männer mit mir Zeit verbringen, auch wenn sie keinen Sex bekommen. Dass mein Wesen ausreicht, um geschätzt und geliebt zu werden.

Dieses Gefühl ist neu. Es ist ungewohnt. Es zuzulassen öffnet ganz neue Poren in mir. Ich fühle mich viel mehr ich und in mir und viel weniger getrieben. Es fühlt sich gut und richtig an. Und genau darum geht es. Mir zu erlauben meine Gefühlswelt zu erweitern und mich flexibel zwischen meinen unterschiedlichen Nuancen zu bewegen ohne immer die gleiche „Standardnummer“ abzuspulen, die mir nichts bedeutet und auch nur in sehr limitierten Grenzen funktioniert.

 

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