Tag 73:
Eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten

Jedes Mal, wenn ich von meiner Coaching-Ausbildung heimkehre, dann fühle ich mich beseelt. Es ist so als wenn ich das Wochenende mit meinen besten Freunden verbringe. Die Offenheit und Verbundenheit, die in dieser Gruppe herrscht, ist berauschend und sehr bewegend. Und das, obwohl wir uns alle kaum kennen.

Die Stimmung, die vorherrscht ist geprägt durch die Bereitschaft sich selbst zu öffnen und dem Wunsch dadurch zu wachsen. Ein Wachstum, das auf sich selbst sowie auf andere bezogen ist. Die eigene Weiterentwicklung durch das Erlernen der Coaching-Techniken sowie anderen damit zu helfen ihre blinden Flecken aufzudecken und ihre eigene Wahrheit zu finden.

Wenn ich die Atmosphäre beschreiben müsste, dann fallen mir folgende Dinge ein: Wärme, Vertrauen, Offenheit, Ehrlichkeit, Reflektiertheit, Besonnenheit, Reife, Wohlwollen, Mitgefühl, Hingabe, positives Denken, Mut und Stärke. Jeder Teilnehmer ist für sich gesehen so unterschiedlich und hat sich für so grundverschiedene Lebenswege entschieden. Was uns alle eint ist die Offenheit sich selbst und allen anderen gegenüber sowie die Tatsache, dass uns der Status Quo nicht ausreicht und wir uns weiterentwickeln wollen.

Es herrscht kein Wettbewerb, keine Rivalität und kein Druck. Jeder kann sein wie er möchte und wird dafür wertgeschätzt. Dies ist ein so extremer Kontrast zu dem, was ich alltäglich in der Berufswelt erlebe. Hier herrscht genau das Gegenteil: Ständiger Konkurrenzkampf, Druck, Stress und man muss so sein, wie es von einem erwartet wird. Und wenn man nicht absolut alles gibt, dann zeigt man keinen Einsatz. In den Konzernen herrscht ein alltäglicher Maskenball. Das Eingestehen der eigenen Schwächen und Verletzlichkeiten ist das oberste Verbot einer sehr langen Liste, deren Credo ist: „Sei so wie wir dich wollen.“ Verbundenheit und Akzeptanz? Fehlanzeige.

Ich kenne dieses Gefühl der Verbundenheit auch von anderen Gruppenveranstaltungen. Es herrscht dann, wenn Menschen mit den gleichen Absichten und Grundgedanken zusammenkommen und man das Gefühl hat hier ganz man selbst sein zu können. Es ist so berauschend und bereichernd, dass man sich am Ende alle mit ein wenig Abschiedsschmerz in den Armen liegt, weil man dieses Energie-High festhalten will. Wissend, dass man zurück zu Hause wieder in eine andere Welt geworfen wird.

Auch das Zusammensein mit guten Freunden bringt ein ähnliches Gefühl mit sich. Man weiß, dass man so wie man ist akzeptiert wird und sich nicht verstellen muss. Man kann sich mit seinen Gedanken öffnen und im Moment sein, anstatt ständig darüber nachdenken zu müssen, ob das was man gerade gesagt hat, gut angekommen ist. Es ist die Leichtigkeit der Vertrautheit, die mich dabei immer wieder beflügelt.

Das Interessante ist, dass dieses Gefühl tatsächlich unabhängig davon ist, wie gut man sich kennt. Ich habe schon Menschen durch Freunde oder auf Reisen kennengelernt, in die ich mehr oder weniger zufällig hineingelaufen bin und mit denen ich sofort eine solche Verbindung gespürt habe. Es waren v.a. Menschen, die sich selbst so annahmen wie sie sind und es daher auch nicht nötig hatten andere zu be- und verurteilen.

Zurück in meiner „normalen“ Welt, frage ich mich immer wieder wie ich diese Atmosphäre der Verbundenheit aufrecht erhalten kann. Ich würde am liebsten ausschließlich in solch einem Umfeld der Verbundenheit agieren, indem ich Dinge offen ansprechen kann ohne auf Abwehr dagegen zu stoßen. Ein Zusammenleben mit Menschen, die sich so sehr wie ich weiter entwickeln wollen und offen für ehrliche Reflexion sind. Genau das ist es auch, das ich in einer Beziehung suche. Eine Partnerschaft mit einem Menschen, der offen für Selbstreflexion und gemeinsames Wachstum ist. Denn eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten macht das Zusammensein einfacher. Wenn ein gewisses Grundverständnis füreinander und die jeweiligen Sichtweisen besteht, dann kommt es zu weniger Reibungen und man kann seine Energie in den Fortschritt investieren, statt ständig den Status Quo aufräumen zu müssen.

Ein Mensch, für den Selbstfindung wichtig ist und der diesen Weg bereits bis zu einem gewissen Weg gegangen ist, wird nicht damit aufhören, nur weil er in einer Beziehung ist. Selbstfindung ist kein Prozess, der heute beginnt und wie ein Projekt nach 3 Monaten oder 3 Jahren Projektlaufzeit endet. Selbstfindung ist eine grundlegende Lebenseinstellung, die sich durch das ganze Leben zieht, sobald man sich dessen geöffnet hat und mit den positiven Auswirkungen davon in Kontakt gekommen ist.

Wenn man sich einmal für diese Reise entschieden hat, ist das 08/15-Modell einer Beziehung nicht mehr ausreichend. Ein Beziehungsmodell das aus meiner Sicht 80-90% der Menschen leben, die sich kontinuierlich oder in unregelmäßigen Abständen auf Beziehungen bzw. deren Versuch einlassen. Eine Person, die diesen Weg der Selbstfindung und der kontinuierlichen Persönlichkeitsentwicklung geht, sucht Verbundenheit. Eine Verbindung zu sich und auch zu anderen Menschen. Eine solche Person sucht Reinheit, Klarheit, Öffnung und ein Miteinander auf einer tieferen Ebene. Ein simpler Smalltalk oder anstrengende Oberflächlichkeit langweilen und strengen an, da sie konträr zu dem sind, was er/sie sich wünscht.

Diesen Menschen ist “normal” nicht genug. Für sie findet Normalität auf einer tieferen Ebene statt. Sie suchen in anderen Reflektiertheit und die Bereitschaft in einen offenen Dialog einzutreten, sich weiterentwickeln zu wollen, anstatt sich mit den Aussagen “Ich bin eben so. Das ist mein Charakter. Das kann ich nicht ändern.” zu verteidigen. Miteinander auch dann verbunden zu sein, wenn man sich kritisch auseinandersetzt und zu verstehen, dass Konflikte oftmals nur ein Symptom für tieferliegende Probleme sind.

Ich bin erst 29 Jahre alt. Aber ja, ich fühle mich schon jetzt zu alt für Streitigkeiten, die aufgrund von unzureichender Reflexionsfähigkeit und nicht vorhandener Veränderungsbereitschaft der eigenen Person wie auch des Umfelds beruhen. Ich kann nicht immer Stellvertreterkriege für Konflikte führen, die aus ganz anderen Problemen herrühren. Es steht mir in keinerlei Hinsicht zu, dass ich einer anderen Person zuschreibe wie er/sie sein Leben führen soll oder bei welchen Themen er/sie eindeutig Entwicklungspotenzial hat. Jeder Mensch kann für sich selbst entscheiden, wie er sein Leben führen möchte. Und genauso kann auch ich entscheiden, dass ich mit einem Menschen, der persönliches Wachstum nicht als hohe Priorität in seinem Leben hat, wohl nicht langfristig glücklich zusammen sein kann, weil unsere Weltanschauungen dann zu oft einfach zu konträr sind.

Leider grenzt diese Erkenntnis den möglichen Kreis für mich passender Männer und auch Freundschaften weiter ein. Oft sind Frauen die spirituelleren Wesen, die besser in der Lage sind sich mit schwachen Gefühlen auseinandersetzen. Vielleicht ist das „leider“ aber auch ein Segen. Wenn ich die Fähigkeit zur Selbstreflexion und das Streben nach eigenem und gemeinsamen Wachstum als essentielles Auswahlkriterium setze, dann erspare ich mir viele Dates und das Ausprobieren von Männern, die nicht auf diese Beschreibung passen und kann mich mehr auf die wenigen konzentrieren, die so ticken wie ich. 😉

 

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3 Gedanken zu „Tag 73:
Eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten
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  1. Fragen und verstehen..!

    Wer uns geboren hat, hat vorher nicht gefragt
    ob wir geboren werden wollten.

    Wer uns erzogen hat, hat vorher nicht gefragt
    wie wir erzogen werden wollten.
     
    Wer uns verurteilt, hat  vorher nicht gefragt
    ob wir verurteilt werden wollen,
     
    für unser Denken, unser Handeln, unser Fühlen
    im Einklang unserer eigenen Moral
     
    Wer uns verstehen will, hat uns gefragt –
    hat zugehört, wie wir verstanden werden wollen
     
    Wer uns verstanden hat, hat akzeptiert
    das unser Geist sich aus uns selbst gebiert
     
    nicht Formeln folgend, die von anderen geschrieben
    die nicht nachfragten, wo wir als Mensch dabei geblieben !
     
     
                                                                                          Roger D.

    Einen wunderschönen guten Abend Lena,

    obiger Text von mir – wenn auch schon einige Jahre alt – passt ein Stück weit zu deinen heutigen Worten. Sie sind wahr, vollumfänglich; und tragen doch ein kleines bisschen Radikalität in sich, weil du in gewisser Weise von Selektion sprichst. Wenn Ignoranz, Intoleranz und das resignierte Festhalten an schlechten eigenen Eigenschaften zum Selbstzweck geworden sind, sollte man sicher mal die Reißleine ziehen. Aber dabei auch sich selbst prüfen, ob man die richtigen Schlüsse gezogen hat und seinem Gegenüber nicht Unrecht tut. Selbstreflektion sehe ich auch als ein extrem wertvolles Gut, gerade auch im Umgang mit anderen Menschen, denn aus dem Ursprung – der Reflektion- entspringt prinzipiell ein ausgewogener Umgang mit seinen Mitmenschen – konträr der allseits bekannten Ellbogenmentalität. Mir ist es schon immer schwer gefallen, die Welt in Schwarz und weiß zu sehen, oder einzuteilen. Diese Art Autismus tragen viele in sich. Vielleicht einfach nur aus Unsicherheit, Angst, Bequemlichkeit? Die Grautöne bestimmen unser Leben und wer sich drauf einlässt wird feststellen, das Grau eine schöne Farbe ist, denn sie passt zu allen anderen Farben und hat selber unendlich verschiedene Nuancen – wie das Leben eben. Dein Drang zur Analyse und deine offensichtlich hohe Sozialkompetenz werden dich immer wieder mal in eine Überforderung stürzen. Du wirst dich immer wieder in dein eigenes Spinnennetz der allzu weit verzweigten Gedankengänge verwickeln, aber genau darum du wirst ein reiches, interessantes und erfülltes Leben führen, auch wenn es genau wegen dieser Charaktereigenschaften manchmal einfach wehtut. Du würdest es trotzdem nicht anders wollen! ” Hier stehe ich und kann nicht anders!” Eigentlich wollte ich dir einen ganz anderen Text senden – aber du hast das Thema vorgegeben. Sei herzlichst gegrüßt – Roger

    1. Lieber Roger,

      ich gebe dir absolut recht. Und ich denke auch, dass dies ein nicht ganz einfaches Thema ist. Ab wann ist Abgrenzung gerechtfertigt? Wann lohnt es sich noch an der Reibung über sich selbst zu lernen?

      Ich bin ebenso absolut kein Fan von Radikalität. Was Verurteilung und Ab-/Ausgrenzung mit einer Gesellschaft machen, können wir immer wieder z.B. mit einem Blick auf Sachsen und der Pegida-Bewegung sehen. (Meine Familie kommt aus Sachsen – ich weiß wovon ich spreche…)

      Danke, dass du mich daran erinnert hast, dass die eigene Lebenseinstellung nicht zur Abgrenzung anderer führen darf. Auch Menschen, die anders sind, verdienen unser Mitgefühl und zwischenmenschliche Liebe sowie respektvollen Umgang. Allerdings muss ich mich nicht entscheiden mich mit diesen Menschen ins Bett zu legen und mein Leben mit ihnen zu teilen. Der Post war v.a. auf die enge Gemeinschaft bezogen, die ein Paar miteinander durchlebt. Hier finde ich es essentiell, dass ein Grundverständnis füreinander da ist. Die Liebe kann noch so groß sein, wenn es keine gemeinsame Basis für ein Zusammensein gibt und man sich ständig in Diskussionen über die unterschiedlichen Standpunkte verstrickt. Wenn man jeweils grundsätzlich anderer Meinung ist und kein Verständnis für den anderen entwickeln kann, dann sollte man sich überlegen, ob das Ganze nicht mehr zehrt als nährt. In jedem Miteinander gibt es gesunde Grenzen, die wenn überschritten, eine rote Linie bedeuten.

      Liebe Grüße und danke fürs kommentieren.
      Deine Lena

      P.S.: Ich bin gerade dabei von der allzu ausgeprägten Rationalität immer öfter auch mal in die Emotionalität zu wechseln. Schließlich will ich nicht die Spinne sein, die sich in ihrem eigenen Spinnennetz verwickelt. 😉

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