Tag 71:
Im Hamsterrad

 

Nachdem ich mir in den letzten Tagen eine kleine Schreibpause gönnte, inspirierte mich heute ein Spruch auf der MutHafen-Website gelesen, (absolute Leseempfehlung – schaut mal bei Raphael vorbei):

„Mach den großen Traum nicht zum Feind des kleines Glücks“

Ich erkannte mich darin. Mich und eines meiner Grundprobleme: Indem ich mich mit voller Kraft auf meinen großen Traum – dem Schreiben – fixierte, vergaß ich die kleinen Dinge auf dem Weg wertzuschätzen und mir Zeit zu nehmen, diese zu genießen. Mein Festhalten an einer täglichen Schreibfrequenz war nur ein Symptom einer darunter liegenden Schwierigkeit und die Spitze des Eisbergs. Meine Aufmerksamkeit lag nicht auf dem Weg, sondern auf meinem Ziel, das ich mit voller Kraft voraus erreichen wollte. Mein Schicksal mutete an wie das der Titanic. Ich steuerte mich sehenden Auges ins Unglück.

Ich hatte ähnliche Muster bereits unzählige Male vorher erlebt. Wenn ich Dinge mit Leidenschaft tat und diese mir große Freude und Erfüllung bereiteten, dann fiel es mir zunächst wahnsinnig leicht in den sechsten Gang hochzuschalten. Doch von diesem Tempo wieder herunterzukommen fiel mir unglaublich schwer. Wenn ich etwas mit Leidenschaft und aus absoluter innerer Motivation heraus tue, dann ziehe ich daraus enorm viel Energie. Alles, was damit zu tun hat, versetzt mich in einen Rausch – einen Rausch von Endorphinen und adrenergen Hormonen, die mich beflügeln und auf die höchsten Höhen schweben lassen. Ich fokussiere mich dann vollumfänglich auf diese Dinge und sie werden zu meinem Lebensinhalt. Doch je mehr ich meine ganze Kraft und Aufmerksamkeit in diese hinein investiere, desto stärker vernachlässige ich all die anderen Sachen, die mein Leben über dies hinaus inspirieren und in Balance halten. Je mehr ich meinen Fokus einenge, desto weniger Flexibilität spüre ich mich anderen Dingen widmen zu können. Die anderen Säulen meiner Lebensfreude brechen weg und im Ergebnis werde ich abhängig von diesem einen Aspekt. Es fällt mir dann zusehends schwer mir Pausen zu gönnen oder spontan zwischen den unterschiedlichen Gängen und Geschwindigkeiten hin und her zu schalten. Meine Kupplung rostet ein, mein Fuß klebt auf dem Gaspedal und es geht nur noch höher, schneller und weiter. Aus einem gesunden Ehrgeiz wird ein belastender Zwang.

Genauso war es in den letzten Wochen beim Schreiben. Aus einem anfangs mit so viel Freude und Leichtigkeit begonnenem Selbstexperiment, wurde ein zwanghaftes „Ich muss jeden Tag etwas tiefgründiges und bereicherndes Schreiben, um nicht zu enttäuschen“. Und so stellte ich bspw. Treffen mit Freunden zurück, um nach der Arbeit Zeit zu haben Artikel zu schreiben.

Das Gleiche kenne ich vom Sport. Am Anfang stecke ich voller Energie, die Aktivitäten tun mir gut und spüre den positiven Effekt an meinem Körper. Irgendwann wandelt sich das und um die bis dato erzielten Effekte nicht wieder schwinden zu sehen, wird aus dem anfänglichen Freizeitspaß knallhart geplanter Freizeitzwang. Ein Zwang, dem alles andere untergeordnet wird.

Auch mit Männern kenne ich diesen Mechanismus. Aus einem zunächst leichten und beflügelnden Flirt und entspanntem Kennenlernen, entstand über die Zeit ein Gefühl des „mich melden müssens“ immer verbunden mit der Angst alles zu verlieren, wenn ich aus den Routinen ausbreche, die sich bis dahin eingeschlichen hatten.

Die neuen Verhaltensweisen, die ich mir aufbaute, um diese Dingen voranzutreiben, verliehen mir Sicherheit. Sie waren wie ein Anker und gaben mir Halt. Sie wollten genauso und mit der gleichen Energie fortgesetzt werden, wie ich sie angefangen hatten. In mir schwelte die Angst, dass ich die positive Energie, die ich daraus schöpfte, verlieren könnte, wenn ich mir erlauben würde sie einfach mal anders zu machen oder einen Abstand zu ihnen einzugehen. So kam es dazu, dass ich über die Zeit ausbrannte und mich schwach fühlte. Zu schwach, um auf gleiche Weise und mit der gleichen Kraft des Anfangs weitermachen zu können. Über die Zeit wurde das, was mir zuerst so viel Bereicherung und Halt gab, zu einer schweren Last auf meinen Schultern, die mir mehr Kraft kostete, als dass sie mir gab.

Die Ursache von dieser Umkehr im Energiefluss waren meine eigenen hohen Erwartungen an mich. Nachdem ich in der Regel mit extrem viel Leidenschaft, Zeit und Energie in eine Sache gestartet bin und mich selbst zu anfänglichen Höchstleistungen motiviert hatte, fiel es mir schwer nach einer Reihe von “Super-Tagen” auch wieder mit Phasen zufrieden zu sein, die nur „ok“ waren. Im Vergleich kamen mir diese Tage dazwischen relativ gesehen wie ein Versagen vor und damit einhergehend flüsterten Selbstzweifel und Versagensängste in mein Ohr. „Was wenn ich es nicht schaffe langfristig damit erfolgreich zu sein?“, schwirrte es in meinem Kopf. Und diese negativen Gedanken bewirkten, dass ich noch mehr Aufmerksamkeit in meine einst so leidenschaftlich betriebenen Aufgaben steckte. Aus einem einst so freudigen Tun, wurde deshalb ein unter Selbstkontrolle betriebener Zwang. Statt „Es macht mir Spaß und gibt mir Energie“ wird „Ich muss das tun und darf mich von nichts anderem Ablenken lassen“. Das Ergebnis dieser Mechanismen war Isolation.

Das Interessante dabei: Ich bin kein Mensch von Routinen. Viel mehr bin ich eine Abenteurerin. Gleiche Abläufe tagein und tagaus, stressen und langweilen mich. Sie sind ein Grund mir wieder neue Beschäftigungen und Lebensinhalte zu suchen. Ich brauche regelmäßige Veränderungen, sonst habe ich Angst auf der Stelle zu treten.

Die oben beschriebenen Muster, stehen daher meiner Abenteurerseele konträr gegenüber. Sie geben mir zwar Sicherheit, nehmen mir aber die Leichtigkeit des Lebens. Ich muss daher lernen wie ich regelmäßig in den Gängen meines Lebens flexibel hoch- und herunterschalten kann und auch mal den Motor ausschalten kann, ohne Angst zu haben, dass dieser danach nicht mehr anspringt. Ich muss lernen regelmäßig den Fuß vom Gaspedal zu nehmen und zu bremsen, um wieder den Rausch der Beschleunigung genießen zu können. Ich muss mir beibringen auch Dinge, die ich mit absoluter Leidenschaft tue, in Balance und Einklang mit dem Rest meines Lebens zu tun, damit das Zusammenspiel langfristig und nachhaltig funktionieren kann. Nur so kann ich es schaffen nicht immer wieder nach einiger Zeit ausbrechen zu wollen, weil mein Leben zu einseitig geworden ist. Ich muss lernen abseits von radikalen Einstellungen zu Leben und meine eigene Mitte nicht nur allein mit mir, sondern auch in Arbeit und Freizeit zu finden. Denn nur so kann ich es hinbekommen Dinge voranzutreiben, die mich zum Leuchten bringen, ohne dass sie mich ausbrennen.

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5 Gedanken zu „Tag 71:
Im Hamsterrad
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  1. …der Weg ist das Ziel.. und der Weg ist dein Leben! – nicht das Ziel..wenn du also unkontrolliert Gas gibst, siehst du nicht das Schöne am Wegesrand, dazu müsstest du schon Fahrrad fahren oder noch besser zu Fuß gehen. So betrachtet ist es logisch, das es in einem wirklich erfüllten Leben vielleicht gar kein Ziel geben darf – denn das Ziel ist der Endpunkt; wer das Ziel erreicht hat braucht sich nicht mehr anstrengen, sich weiterentwickeln, Strategien entwickeln etc. – Stillstand! Ne, besser nicht, oder? Liebe Grüße an dich – Roger (Rogue 9289)

    1. Du Lieber!

      Ich freue mich immer so sehr über deine Kommentare. Als ich den Artikel geschrieben hatte, hatte ich tatsächlich einen Abschnitt zum Fahrradfahren im Text. Du kannst Gedankenlesen. 😉

      Ich war letztes Jahr in Nepal. Dort haben wir uns 12 Tage von 820m auf 5416m hinauf gekämpft. Alle Eindrücke waren so tief und besonders, weil wir gelaufen sind und jede Blume und jeden Stein am Wegesrand quasi in uns aufgesogen haben. Diese Erfahrung war so intensiv und so ein wahrer Kontrapunkt zu dem schnellen Leben der westlichen Welt. Und als der Gipfel erreicht war, war die Luft raus. Du hast also recht. Ich habe auch schon die letzten Tage darüber nachgedacht, dass ich mich von dem Gedanken verabschieden muss etwas zu erreichen und das dann für den Rest meines Lebens genießen zu können.

      Danke für deine Worte.

      Beste Grüße
      Deine Lena

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