Tag 65:
Bis ans Ende aller Tage?

Nachdem ich gestern über das Annehmen unterschiedlicher Emotionen philosophiert habe, ist mir wieder umso mehr klargeworden, warum mir Beziehungen so schwer fallen.

Ich bin glücklich, wenn ich mit mir bin, meine Routinen genieße und mein Leben so verläuft, wie ich es gern hätte. Viel schwerer fällt es mir allerdings in Balance zu bleiben, wenn da draußen mal wieder der Wind tobt und mir die Wellen der Emotionalität entgegen schlagen. Wellen, die durch die Auseinandersetzungen mit anderen aufgewirbelt werden.

Es ist viel leichter glücklich zu sein, wenn man sich nur mit sich selbst auseinander setzen muss. Zumindest dann, wenn man sich davon freigemacht hat, jemand anderen zu brauchen und stattdessen sein Leben so aufgestellt hat, wie es den eigenen Vorstellungen entspricht. Viel schwerer wird es, wenn zwei Menschen sich entscheiden miteinander ihr Leben zu verbringen und ihre unterschiedlichen Interessen und Vorstellungen vom Leben, von Urlauben, von Haus und Kindern miteinander in Einklang bringen müssen. Plötzlich kann aus einem entspannten Sonntagabend eine herbe Enttäuschung werden, wenn der eine lieber kuscheln und der andere mit den Jungs und einem Kasten Bier Fußball schauen will.

Wenn ich allein bin, spüre ich keinen Mangel. Das Gefühl des „in meinem Leben fehlt etwas“ kommt nur auf, wenn ich auf die Straße gehe und glückliche Paare mit ihren süßen Kindern sehen. Erfüllende Ausschnitte eines Lebens, das im Privaten oft so viele Kompromisse erfordert.

Früher waren Kompromisse viel nötiger. Eine Frau konnte allein – zumindest wirtschaftlich gesehen – nicht bis kaum auf den eigenen Beinen stehen. Irgendwie musste man sich zusammenraufen. Auch der Mann hatte gesellschaftliche Vorteile von einer Ehe. Heute ist das mit den Kompromissen so eine Sache.

Klar muss jeder immer wieder auf den anderen zugehen und einen Teil seiner Vorstellungen anpassen, wenn man sich entscheidet zusammensein zu wollen. Egal wie perfekt man zusammenpasst – solange es noch keine kabellose Verbindung von Hirn zu Hirn gibt, müssen wir Menschen miteinander kommunizieren. Wir müssen unsere Gedanken und Bedürfnisse äußern und die des anderen wahrnehmen, um so zu einer Lösung zu kommen, die für beide Seiten akzeptable ist. Sei es aus Liebe, für die Kinder oder aus welchen Gründen auch immer. Eine Beziehung erfordert sich aufeinander einzustimmen und nur so weit von der Vorstellung des anderen abzuweichen, wie dieser/diese damit leben kann. Ohne Frage, bedeutet das mehr oder weniger Einschränkungen der eigenen Freiräume. Denn man kann nicht mal eben ohne Absprache mit den Freunden ein verlängertes Wochenende planen, seine sexuellen Interessen mit anderen ausleben oder seinen Wohnort wechseln.

Es Bedarf viel mehr Arbeit eine Beziehung zu pflegen als einfach sein Single-Leben weiterzuführen. Um in einer Beziehung zu bleiben, braucht es immer zwei. Und ob man es will oder nicht, gerät man in eine Abhängigkeit zu dem anderen. Mein eigener Wille und die Energie, die ich in die Beziehung einbringe, reichen nicht aus, wenn der andere nicht ausreichend an der Beziehung interessiert ist. Und das macht es so schwierig.

Früher war es quasi überlebensnotwendig – zumindest für die Mehrheit der Menschen – in einer langfristigen Partnerschaft zu sein. Aber ist das heute auch noch so? Ich kenne viele Frauen, die sagen, dass sie gern Single bleiben würden, wenn da nicht der Wunsch nach Kindern wäre. Frauen, die sich selbst ein unabhängiges Leben aufgebaut haben und in vielen Fällen in diesem überaus glücklich sind. Kinder zu bekommen ist dann oft der einzige rationale Grund, auf die Suche nach einer ernsthaften und langfristigen Beziehung zu gehen.

Sollten wir einfach einsehen, dass das Konzept des einen Lebenspartners ausgedient hat? Denn viele erfolgreiche Rollenmodelle gibt es dafür heutzutage wahrlich nicht mehr. Jagen wir in unserer modernen Welt immer noch romantischen, jedoch realitätsfernen Märchen hinterher? Wir Menschen werden immer älter, leben in einer Tag um Tag noch freier werdenden Welt und gleichzeitig ist unsere Vorstellung von Partnerschaften seit dem Mittelalter unverändert. Mit der einzigen Veränderungen, dass wir heute unabhängig von Stand und nur auf Basis wahrer Liebe miteinander sein wollen.

Sollten wir statt von dem einen Lebenspartner zu träumen, nicht akzeptieren, dass wir mehrere Lebenspartner haben werden? Sollten wir Beziehungen, die auseinander gehen, nicht als gescheitert, sondern als wertvolle Erfahrung betrachten und dankbar für die gemeinsamen Momente sein?

Esther Perel, eine amerikanische Paarpsychologin, sagt in einem TED-Talk Folgendes:

„Jeder führt mehrere Beziehungen in seinem Leben. Manche führen diese mit einem Partner, andere mit mehreren“.

Dieses Zitat drückt so wundervoll aus, dass wir uns alle über die Zeit verändern und starre Beziehungsvorstellungen á la „Ab jetzt genau so bis zum Ende aller Tage“ realitätsferner Bullshit sind. Viel mehr geht es darum, das Leben und die Liebe mit all ihren Veränderungen zuzulassen und sich auf die Achterbahn des Lebens ohne Angst vor eventuellem Scheitern und Verlust einzulassen. Gleichzeitig steht dieses Modell der Beziehungsführung fast schon konträr zu der Suche nach einem Herzensmenschen, mit dem man abseits aller Funktionen und Lebensphasen hinweg in Verbindung sein möchte.

Ich bin wahrlich gespannt welche Sicht auf das Thema ich am Ende meines ONE YEAR NO GUY-Experiments habe und welches Beziehungskonzept ich am Ende als für mich passend halte, nur um wahrscheinlich dann festzustellen, dass der Mann, den ich dann kennenlernen werde, all meine Überlegungen wieder über den Haufen wirft. 😉

Wichtig ist nur, dass wir bei all der Suche nach dem vermeintlich Richtigen nicht vergessen den Moment zu genießen und in der Lage zu bleiben uns von Menschen überraschen zu lassen, anstatt zu versuchen sie direkt beim ersten Kennenlernen auf Basis verschwindend geringer Informationen zu beurteilen und in Kisten zu packen.

 

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2 Gedanken zu „Tag 65:
Bis ans Ende aller Tage?
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  1. Glaskasten

    Du bist wie eine Rose im Glaskasten –
    wunderschön anzusehen…, aber

    ich kann den lieblichen Duft nicht riechen
    die samtenen Blüten nicht fühlen
    mich nicht an den Dornen stechen…

    dann sind die Tröpfchen auf den Blütenblättern
    auch keine Tränen des Schmerzes…

    dann ist der Glaskasten
    mein Schutz und mein Schicksal zugleich…

    Rogue 9289

    Hi Lena,
    diese Zeilen sind mir mal eingefallen, als mir klar wurde das zu lieben immer auch mit Schmerz verbunden ist – früher oder später…- Eine Konsequenz, die uns aber keinesfalls abschrecken darf, denn sonst nehmen wir uns einfach die Chance
    wunderschönes zu erleben…

    1. Lieber Rogue,

      da hast du so recht! Vielen Dank für die wundervollen Zeilen. Die Unnahbarkeit und die Schönheit hinter einem schützenden Glaskasten ist tatsächlich mein Problem. Gut erkannt! 😉

      Hab noch einen schönen Abend!
      Deine Lena

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