Tag 60:
Ich habe dich doch lieb

Anmerkung nach dem Ende meines Experiments (Dezember 2018): Die in diesem Beitrag geschilderte Vermutung eines sexuellen Missbrauchs konnte nicht erhärtet werden. Ich glaube heute nicht, dass mir dies widerfahren ist. Eher glaube ich, dass ich hier einem Therapeutenfehler unterlaufen bin, der in mir das sog. “false memory syndrome” getriggert hat. Ich empfehle jedem, der mit ähnlichen Hypothesen seines Therapeuten konfrontiert ist, weitere Meinungen einzuholen. 

 

Es fällt mir heute schwerer als jemals zuvor meine tagesaktuellen Erkenntnisse mit euch zu teilen. Nicht, weil ich es nicht mit euch teilen möchte, sondern weil es eine noch unbewiesene Vermutung ist. Eine Anschuldigung, die ich aktuell nicht beweisen kann und die in der Rückschau vielleicht niemals zu beweisen ist. Und doch wollen meine Worte auf das Display und in diesen Blog. Ich möchte alles mit euch teilen. Keine geschönten Wahrheiten, sondern alles das was aufkommt und mich bewegt. Ja, ich bin gerade etwas kryptisch. Aber dieses Thema anzusprechen braucht Mut und ist mit einer mir unbekannten Emotionalität verknüpft. Ich fühle mich gerade schwer und gelähmt.

Ich war heute wieder beim Coaching. Mein Coach verbindet Coaching mit Traumtherapie. Heute haben wir eine Aufstellung gemacht. Dabei stellt man z.B. ein Anliegen oder eine Familienkonstellation auf, verteilt die zugehörigen Objekte im Raum und fühlt in die verschiedenen Bereiche hinein.

An einer Stelle sagte er, dass er empfehlen würde, dass wir für heute damit aufhören. Er meinte, dass da „etwas viel größeres im Raum“ wäre. Ich schaute ihn fragend an und er spiegelte mir wieder was ich vorher erzählt hatte. Ich saß auf einem Sessel, er auf einem Stuhl schräg von mir und fing mit einem wenig anderen Blick und einer etwas anderen Stimme an mir zu sagen, dass er hier Warnhinweise sieht. Warnhinweise darauf, dass ich in meiner Kindheit missbraucht oder vergewaltigt worden bin.

Pause

Wie schreibt man nach diesem Satz weiter? Aus meinen Augen fließen Tränen. Es geht so tief.

Er musste gar nicht alles aussprechen – ich verstand schnell. Und es triggerte etwas in mir. Erinnerungen kamen hoch. Erinnerungen an Träume, eigenartige Zusammenhänge und in mir stieg so ein eigenartiges Gefühl auf. Ich kann es auch jetzt nicht klar beschreiben. Wie eine Ahnung, die gerade bestätigt wurde und man sich mit ungläubigen Augen fragt: „Kann das wirklich sein?“

Ich habe keine Erinnerungen an solch eine Tat. Meine Kindheit war zumindest auf der Ebene unbefleckt. Ich hatte zu dieser Person immer ein gutes und liebevolles Verhältnis. Wenn ich ihn mir heute in Erinnerung rufe, dann denke ich: “Ich habe dich doch lieb. Wie kann das sein?“ Mein Coach sagt, dass so etwas tatsächlich komplett verdrängt werden und man keinerlei Erinnerungen an solche Geschehnisse haben kann.

Nichts ist bewiesen. Alles was es gibt sind Hinweise. Eine Ahnung. Es wird ein Prozess sein herauszuarbeiten, ob da wirklich etwas dran ist oder nicht. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass es stimmt. Auch wenn ich mir wünsche, dass etwas anderes dahinter steckt. Deshalb möchte ich aktuell auch nicht sagen welche Person aus meiner Familie im Verdacht ist. Wenn sich etwas anderes bewahrheiten sollte, dann bekomme ich diese öffentliche Anklage nicht mehr ungeschehen gemacht.

Wenn es so wäre, dann würde es vieles erklären:

  • Warum ich Angst habe, dass mich Männer ausnutzen
  • Warum ich Angst habe, dass hinter der netten Fassade eines Menschen andere Anliegen stecken und er doch nur meinen Körper will / Warum ich Angst habe, dass Männer Nähe und Sex mit mir aus den falschen Gründen wollen
  • Warum ich mir in letzter Zeit ältere Männer gesucht habe, mit denen ich im Verborgenen agierte (Man führt oft Stellvertreterkriege)
  • Warum ich immer weit weg von meiner Heimat sein wollte und nie das Gefühl hatte ein Zuhause zu haben
  • Warum ich fürsorgliche und liebevolle Männer nicht an mich heranlassen kann, weil ich Angst habe, dass sie mich erdrücken und mehr von mir wollen als ich ihnen geben kann oder will
  • Warum ich die Beweggründe von Männern verstehen will, anstatt sie einfach so zu lassen und sie so zu nehmen wie sie sind
  • Warum ich Männer immer „ändern“ will und möchte, dass sie ein aufgeräumtes Seelenleben haben
  • Warum ich von Männern so radikal zurücktrete und ein Jahr ohne sie lebe, um diese alte Wunde endlich aufzuräumen

In mir kommt gerade so vieles hoch. Wenn die Vermutungen stimmen, dann ist es ein Thema, von dem ich nie damit gerechnet habe, dies irgendwann bearbeiten zu müssen. Schon gar nicht öffentlich in einem Blog. Aber wie gesagt, ich will nichts verstecken. Wenn hinter meinen Problemen in Beziehungen tatsächlich so etwas wie eine Vergewaltigung steckt, dann gehört es aufgedeckt. Gerade wenn es sein kann, dass man so etwas komplett verdrängt und sich daraus solche Schwierigkeiten ergeben, wie ich sie im Bereiche Liebe und Beziehungen erlebe, sollen es erst recht noch mehr Menschen lesen. Lesen, über ihre eigene Situation nachdenken und wenn nötig die richtigen Schlüsse für ihre Heilung ziehen.

Eines kann ich sagen. Solche Themen kann keiner allein angehen. Wenn beim Lesen dieses Textes bei dir irgendetwas hochkommen sollte (Ich hoffe nicht!!), dann suche dir bitte professionelle Hilfe. Ich bin eine starke Frau, Ärztin und habe diese professionelle Hilfe an meiner Seite. Wenn mein Coach nicht wäre, dann hätte ich jetzt wohl große Angst. Aber ich weiß, dass er mich an die Hand nehmen wird und mir helfen wird diese Themen zu bearbeiten.

Wie gesagt, ich bin am 03.12.2017 mit meinem OYNG-Experiment gestartet ohne zu wissen wohin die Reise gehen wird. Das meine Suche nach wahrer Liebe und erfüllter Sexualität solch eine Wendung nimmt, hätte ich nie gedacht. Ich weiß heute noch weniger als jemals zuvor was das Ziel meines Weges sein wird. Was ich jetzt nur tun kann ist Schritt für Schritt auf diesem Weg zu gehen.

Ich danke euch, dass ihr mich auf diesem Weg begleitet. Diesen Blog zu schreiben hat mir geholfen so viele Schichten abzutragen und so weit zu kommen, dass sich sogar so tief sitzende Traumen zeigen können.

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2 Gedanken zu „Tag 60:
Ich habe dich doch lieb
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  1. Hallo Lena! Ich bin vor einiger Zeit auf deinen Block gestossen und verfolge deine Berichte mit großer Bewunderung! Ich finde mich in vielen deiner Themen wieder und bin völlig geplättet, endlich in Worten zu lesen, was ich fühle, aber selbst nie Worte dafür gefunden hatte…
    Nun aber zu deinem heutigen Post – ich beschäftige mich seit einigen Jahren mit Familie, Generationen und meinem Leben. Mir wurde erklärt, daß auch eventuelle körperliche Gewalt, gerade bei Frauen über mehrere Generationen weitergegeben, sozusagen Leid an die Tochter, Enkelin “weitervererbt” wird. Sofern ein Vorfall nie verarbeitet wurde. (Gerade weil wir noch Nachkriegsgenerationen sind)…?!
    Danke für deine Einblicke, die mir auf meinem Weg so viel erklären!
    Herzliche Grüße Bina

    1. Liebe Bina,

      bitte entschuldige, dass ich erst heute dazu komme dir zu antworten. Dein Kommentar freut mich sehr! 🙂

      Wie meinst du das mit dem “Weitervererben” genau – Weitergabe von Gefühlen ohne, dass die Nachfolgegeneration davon betroffen war oder der dramatischen Situation, wenn ehemalige Opfer zu Tätern werden?

      Beste Grüße
      Deine Lena

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