Tag 55:
Setz mir einen Schuss!

“Ich war viel mehr auf Egotrips und sehnte mich nach neuen ‘Bestätigungs-Highs’.“

Über diese Zeile aus meinem gestrigen Post habe ich hinterher noch einmal lange nachgedacht. Die Phase der anfänglichen Verliebtheit, ist oft eine selbstsüchtige Bestätigungsphase des eigenen Selbstwerts. Jede positive Reaktion des anderen wird wertgeschätzt, jedes Kompliment bedeutet so viel, jeder kleine Emoji wird auf die Goldwaage gelegt. Aber warum? Geht es dabei wirklich um die andere Person? Sind wir ehrlich! Es geht viel mehr um uns selbst.

Jedes Wertschätzung bringt zusätzliches Gewicht auf unsere Selbstwertwaage. Wir fühlen uns gesehen und angenommen. Die Begierde, die uns entgegengebracht wird, fühlt sich deshalb so gut an, weil wir gewollt werden. Es geht um uns, wir schaffen es mit unseren inneren und äußeren Reizen den anderen zu faszinieren und zu erregen. Wir spüren dadurch eine gewisse Selbstwirksamkeit. Jeder Schmetterling, der in unserem Bauch herum fliegt, zeigt an, dass wir einen Einfluss auf die andere Person haben.

Das Warten auf eine Nachricht, nachdem man dem anderen seine Nummer gegeben hat, ein Zeichen nach dem ersten Date, dass es ihm/ihr gefallen hat und er/sie einen wiedersehen möchte oder eine Verabschiedung mit einem „Ich freue mich auf das nächste Mal.“ All das sind kleine Hinweise, dass wir genügen. Sie zeigen uns, dass der andere uns mag und das er/sie eine gute Zeit hatte. Gerade wenn wir uns nicht sicher sind, wie das Date lief und wie der/die andere es empfand, können solche Äußerungen eine erhebliche Last der Unsicherheit von unseren Schultern nehmen.

Auch hinter den Fragen: „Magst du mich?“ oder „Hat es dir Spaß gemacht?“, “Magst du meinen Schwanz?“ und “Gefallen dir meine Brüste?“ steht eigentlich nur eine Sache. Die Kernfrage ist: „Bin ich gut genug?“ Die Suche nach Bestätigung im Außen, drückt v.a. unsere eigene Unsicherheit aus. “Sag mir bitte, dass ich gut genug bin! Ich bin auf deine Bestätigung angewiesen, weil ich mir meiner selbst nicht sicher bin.”, ist dabei die eigentliche Kernaussage. Wenn wir ehrlich sind: Wie oft steckt hinter dem Satz „Komm für mich, Baby“ viel mehr der Wunsch nach Bestätigung es zu schaffen dem/der anderen einen Orgasmus zu verschaffen? „Komm für mich.“ statt „Komm für dich.“…

Der/die Ersehnte ist wie eine Droge und wir werden abhängig nach seiner/ihrer Aufmerksamkeit. Wir können nur noch an ihn/sie denken, weil wir uns nach dem nächsten Kick sehnen. Selbst wenn er/sie uns nicht gut tut, klammern wir weiter an dieser Person und hoffen darauf, dass wieder der Moment kommt, in dem er/sie uns berauscht. Wir bleiben doch lieber auf dem Ego-Trip, statt uns zu trennen. Anstatt die Wahrheit auszusprechen, reden wir uns die Lügen ein, die wir hören wollen. Konsum trotz absehbarer negativer Auswirkungen. Das Gefühl der Ohnmacht, des Ausgeliefertseins und das Gefühl keine Kontrolle über das eigene Verlangen zu haben. All das sind Anzeichen, einer Abhängigkeit.

Die WHO definiert “Abhängigkeit als einen:

“seelischen, eventuell auch körperlichen Zustand, der dadurch charakterisiert ist, dass ein Mensch trotz körperlicher, seelischer oder sozialer Nachteile ein unüberwindbares Verlangen nach einer bestimmten Substanz oder einem bestimmten Verhalten empfindet, das er nicht mehr steuern kann und von dem er beherrscht wird. Durch zunehmende Gewöhnung an das Suchtmittel besteht die Tendenz, die Dosis zu steigern. Einer Abhängigkeit liegt der Drang zugrunde, die psychischen Wirkungen des Suchtmittels zu erfahren, zunehmend auch das Bedürfnis, unangenehme Auswirkungen ihres Fehlens (Entzugserscheinungen wie Unruhe, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Angstzustände, Schweißausbrüche) zu vermeiden.“

Ist man abhängig, will man mehr des ersehnten Reizes und sehnt sich nach erneutem Kontakt. Seine Gedanken sind fast ausschließlich auf die Droge ausgerichtet. Wird der Konsum unterlassen kommt es zu Unwohlsein, Ängsten, Aggressionen und depressiver Stimmung. Oft vernachlässigt man deshalb andere Interessen, denn die gesamte Aufmerksamkeit ist darauf gerichtet das nächste High zu erleben. Vielleicht hilft euch diese Perspektive zu verstehen, warum ihr ggf. Probleme habt, jemanden loszulassen. Ihr seid dann nämlich zum Junkie mutiert, der an der Nadel hängt. Ihr braucht Entzug.

Ich werde mich in Zukunft öfter fragen, was mich gerade eigentlich an der Person fasziniert? Ist es die Selbstbestätigung und die Aufmerksamkeit des anderen oder ist es die Person an sich mit dem was sie sagt, tut, etc. Ich habe keine Lust mehr auf Egotrips, nachdem ich gerade so gut dabei bin mein Ego ein wenig zu bändigen. Denn wenn Beziehungen der Selbstbestätigung dienen, dann sollte man die Zeit in den nachhaltigen Aufbau des eigenen Selbstwerts investieren, als in unzählige Dates.

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2 Gedanken zu „Tag 55:
Setz mir einen Schuss!
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  1. Liebe Lena,
    es ist so wahr, was Du schreibst. Vor allem im heutigen Post.
    Ich befinde mich gerade selber in so einem ‘Entzug’. Das Verrückte ist, dass der Verstand und die Logik das alles verstehen und richtig analysieren, doch die Gefühlswelt einen trotzdem in diesem furchtbaren Zustand lässt. In meiner Situation liegt es noch nicht mal an mangelndem Interesse beiderseits, sondern an genau dieser Bindungsangst, die beide irgendwie haben. Und obwohl ich seit vielen Jahren wieder bereit bin, darüber hinauszuwachsen, ist es der andere wohl nicht. Das lässt einen wirklich darüber nachdenken, was das Sich-Öffnen eigentlich für ein Risiko bedeutet. Zwei Mal in meinem Leben habe ich es getan und zwei Mal hat es mich einfach unglaublich zerstört. Sowas kann sogar die sicherste und stärkste Frau ziemlich umhauen.
    Man kann nur hoffen, dass dieser ‘Entzug’ irgendwann ein Ende findet und man mal aufwacht und die Gedanken nicht sofort bei der Person sind…
    Ein wunderschönes Wochenende wünsch ich Dir im tollen Zürich!
    Gruß Kristina

    1. Liebe Kristina,

      ich fühle deine Worte so sehr und weiß genau was du meinst! Der Mann, der mir die Welt bedeutet, ist auch so sehr in seiner Bindungsangst gefangen, dass ich keine Chance für uns sehe. Und die Angst vor erneutem Öffnen und erneutem Enttäuscht-werden kenne ich zu gut.

      Schau mal in deine Vergangenheit – Wunden und Enttäuschungen heilen. Manchmal braucht es nur ein wenig mehr Zeit. ich weiß so gut, wie hoffnungslos man sich manchmal fühlt, wenn man in dieser Situation ist, aber ich kann dir sagen: Es geht vorbei. Und danach wirst du mit neuer Kraft und einer weiteren gelernten Lektion in dein Leben starten. Schau einfach was dir das Leben beibringen will.

      Ich drücke dir alle Daumen und Zehen, dass du bald wieder strahlst, glücklich bist und erneut vertrauen kannst.

      Liebe Grüße,
      Deine Lena

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