Tag 45:
Do you want to be wanted or needed?

Vor vielen Jahren bei meinem ersten Besuch in New York hat mich ein Typ im Supermarkt mit folgender Frage angesprochen:

„Ey, yo. If you are in a relationship, do you want to be wanted or do you want to be needed?“

Die Antwort kam mir wie es der Pistole geschossen über die Lippen:

„What’s this for a strange question? Of course I want to be wanted and not needed!“ 

Und genau hier liegt die Krux: Wer von euch will über Jahre und Jahrzehnte hinweg immer das Gleiche? Nein, ich möchte nicht jeden Tag das Gleiche frühstücken, auch wenn es mein Lieblingsfrühstück ist. Ich will auch nicht jeden Tag meinen Lieblingspulli anziehen oder meine Tage exakt gleichartig verbringen. Oft muss ich Dinge mal wieder anders machen, um zu merken, dass meine Routine doch die beste Option ist oder neue Impulse zu bekommen, die mich in meiner Entwicklung weiterbringen. Denn eines steht fest: Was ich will, ändert sich und ist in einem sich ständig bewegten Fluss, so wie auch ich ein sich veränderndes und sich weiterentwickelndes Wesen bin.

Was viel stabiler ist, sind die Dinge, die ich brauche. Ich brauche ein Dach über dem Kopf, brauche Wasser und ein warmes Bett. Alles was ich wirklich benötige, hinterfrage ich viel weniger. Das was mich überleben lässt, ist als fester Bestandteil meines Lebens gesetzt. Und auch, wenn ich mal keine Lust darauf habe, wird es trotzdem beflissen gemacht. Ich weiß, dass es sonst Konsequenzen hätte.

Zu Dingen, die wir brauchen, haben wir ein viel engeres Band. Der freie Will ist manchmal so leicht und unbeständig wie ein Blatt im Wind. Abhängigkeiten zu entkommen ist stattdessen meist mühsam. Man klebt an ihnen wie ein Haken an der Wand – befestigt mit Zwei-Komponenten-Kleber.

Ist es nicht gemein? Wir wollen gewollt werden statt in Abhängigkeit zu einem anderen zu leben. Und gleichzeitig ist dieser Ansatz der deutlich unbeständigere. Je weniger wir gebraucht werden, desto eher sind wir austauschbar gegen andere schöne gewollte Dinge.

Wenn ich ehrlich bin, habe ich in meinem Leben noch keinen Menschen getroffen, mit dem ich hätte mein ganzes Leben verbringen wollen. Die Vorstellung dies zu tun ließ mich immer wieder von Beziehungen zurückschrecken. Ja, meine Bindungsangst hat dabei sicher einen großen Anteil. Aber: Es gab bisher auch keinen Mann, der mich so umgehauen hätte, dass ich ihn jeden Tag bis zum Ende meines Lebens in meinem Leben präsent gewollt hätte.

Oft habe ich mich als Opfer stilisiert – schlecht behandelt und zurückgewiesen von den “bösen” Männern. Im Grunde war es jedoch meist ich, die unbewusst distanziert und vorsichtig war.

Was wollen wir heute denn noch dauerhaft? Wo es früher noch die jahrzehntelangen Karrieren in ein und demselben Unternehmen gab, ist man heute gern flexibel. Ist das verwerflich? Sind wir alle unbeständig? Ich glaube nicht. Wir haben heute nur die gesellschaftlichen Freiräume unser Leben so zu führen, wie wir es selbstbestimmt wollen. Das Korsett der Zwänge und Normen ist abgelegt und stattdessen wird das freie Leben gelebt, das überall propagiert wird. Unter einer gewissen Betrachtung, könnte man auch postulieren, dass wir heute mit unserer Bindungsangst besser leben können als früher, da die heutige Gesellschaft keine langfristige Bindung von uns mehr einfordert.

Nur was ist die Lösung, wenn wir diesen Sachverhalt auf Beziehungen übertragen? Polyamorie? Vielleicht sollten wir einfach weniger erwartungsbezogen leben. Unser Problem ist, dass wir noch in einer Welt der Erwartungen erzogen wurden und jetzt in einer so wahnsinnig befreiten Gesellschaft leben. Unsere Glaubenssätze über Liebe und Beziehungen stimmen nicht mehr mit der heutigen Welt überein. Der Charakter von Liebe und Beziehungen hat sich grundlegend verändert. Wir dürfen tun was wir wollen. Wenn wir diese Freiheit nutzen wollen, dann müssen wir uns auch eingestehen, dass sich unsere Wünsche über die Zeit verändern. Wir müssen uns viel mehr im Loslassen und Annehmen üben. Statt an alten Momenten zu klammern, müssen wir lernen für diese im Hier und Jetzt dankbar zu sein, statt deren Fortführung bis in alle Ewigkeit zu erwarten. Wir müssen lernen jeden neuen Moment, der uns mit der anderen Person geschenkt wird, wertzuschätzen und dies allumfassend auszukosten. Und so wie wir diese Momente zelebrieren und genießen, müssen wir es auch tolerieren, wenn sich die Wünsche des anderen oder unsere eigenen über die Zeit wandeln.

Was es braucht, um dies unbefangen und frei genießen zu können ist herauszufinden, was wir wirklich wollen und dies überzeugt nach außen zu tragen. Wenn wir stets nach unserem eigenen Willen handeln, kommen wir nie wieder in eine Opferrolle. Wenn ich den Sex selber wirklich will, dann wird es danach nicht passieren, dass ich mich ausgenutzt fühle – auch wenn sich der andere danach plötzlich zurückzieht. Wenn ich ihn wirklich nicht will, dass muss ich mich nicht schlecht fühlen, die Wünsche des anderen ausgeschlagen zu haben. Ich muss lernen mich und meine Wünsche mutig und selbstsicher zu verteidigen. Dann hat eine Gesellschaft, in der das Wollen über dem Müssen oder Brauchen steht eine echte Chance.

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