Tag 39:
Je ne sais quoi
(Loslassen von Erwartungen Teil 5)

“Wenn wir ohne Beziehung unglücklich sind, sind wir es vermutlich auch mit einer Beziehung. Eine Beziehung ist nicht der Beginn unseres Lebens, eine Beziehung wird nicht zu unserem Leben. Eine Beziehung ist die Fortführung unserer Lebens”

– Aus dem Buch “Kraft zum Loslassen” von Melody Beattie

Kennt ihr dieses Gefühl, wenn euch ein Mensch anzieht und ihr wisst gar nicht wieso? Es gibt etwas an ihm, dass euch fasziniert, auch wenn der Mensch an sich nicht wirklich der Prinz oder die Prinzessin eurer Träume ist. Diese kleinen individuellen Eigenschaften, die ihn irgendwie rausstechen und besonders werden lassen? Genau dafür steht “Je ne sais quoi“. Es bedeutet so viel wie „Ich weiß nicht, was“ im Sinne eines unbestimmbaren gewissen etwas.

Das Problem dabei ist nur, dass wir diese Dinge oft deshalb so anziehend finden, weil wir sie uns für unser eigenes Leben wünschen. Die Faszination und die Attraktivität entsprechen daher dem Grad unserer Sehnsucht, die diese Person mit diesem gewissen etwas repräsentiert.

Ein Beispiel dazu:

Es gibt diesen Mann, der mich unglaublich fasziniert, auch wenn wir im realen Leben so gar nicht miteinander klarkommen. Wenn ich an unsere gemeinsame Zeit denke, dann muss ich an die Folge bei „How I met your mother“ denken wo Ted die Kürbis-Schlampe wiedergetrifft und wie beide einfach überhaupt nicht zusammenpassen. Alles fühlt sich komisch an und es entstehen einfach keine Genuss-Momente. Genauso ist es mit Chris.

Chris ist ein Ex-Kollege, aus dem ich mir eigentlich nie etwas gemacht habe. Wir hatten auch auf der Arbeit nichts miteinander zu tun. Erst nachdem ich meinen Arbeitgeber wechselte, intensivierte sich der Kontakt. Oder genauer gesagt: Nachdem ich Christian in den Denk-Urlaub geschickt hatte, war er eine willkommene Ablenkung. Weit genug weg, um mir keine Angst zu machen mir zu nahe zu kommen und doch irgendwie digital präsent genug, um nicht einsam auf Lebenszeichen von Christian zu warten.

Chris symbolisiert für mich absolute Freiheit und ein unbeschwertes Leben. Sein strahlendes Lachen erhellt die Welt. Außerdem ist er ist ständig auf Reisen und verbringt gefühlt mehr Zeit im Flieger als im eigenen Bett. Er kümmert sich nicht zu sehr um die Belange anderer und entbindet sich unkompliziert jedweden Erwartungen. Er hat die Flügel und die Unbeschwertheit, die ich mir so sehr wünsche. Wo ich stundenlang nachdenke, lebt er einfach in den Tag hinein. In dem Moment, in dem ich mich in den anderen hineinversetze, macht er einfach sein Ding ohne nach links und rechts zu schauen. Und deshalb finde ich ihn so anziehend. Ich wünsche mir, dass sich seine Freiheit im Denken und Handeln auf mich überträgt, wenn wir miteinander Zeit verbringen.

Als sich unser Kontakt intensivierte und wir den Hauch eines Flirts hatten, stellte ich es mir so schön vor mit ihm die Welt zu bereisen. Es war direkt nach der Trennung von Christian. Ich wollte so gern aus meinem Gedankenchaos fortgetragen werden. Weglaufen war mir nicht weit genug. Stattdessen wollte ich wegfliegen bis in die letzten exotischen Ecken dieser Welt. Vogelfrei. Leinen los. Entsagend aller Erwartungen. Ich wollte so frei und unbeschwert sein wie Chris. “Everyones Darling” statt an den Ketten meiner eigenen Erwartungen aufhängt zu sein.

Ich kann heute nicht mehr sagen, dass ich gern mit ihm zusammen wäre. Dafür habe ich schnell realisiert, dass wir zu 99% inkompatibel sind. Wir führen weder besonders bereichernde Gespräche noch haben wir dieses gewisse Grundverständnis füreinander, das das Zusammensein einfach macht. Bei uns ist es eher so, dass er links geht, wenn ich rechts will und Ja schreit, währenddessen ich ein Nein sage. Und doch gibt es dieses gewisse etwas.

Ich freue mich wenn er mir schreibt. Seine Aufmerksamkeit zu bekommen fühlt sich wundervoll an. Während unserer Wanderung in Nepal habe ich so oft an ihn gedacht, dass ich es partout nicht erklären konnte warum. Heute weiß ich es. Ich glaube ich hätte einfach gern, dass er mich packt und in sein Leben entführt. Deshalb genieße ich auch sein Interesse so sehr. Ein kleiner Teil in mir wünscht sich, dass er angeritten kommt, mich auf sein Pferd hebt und nie wieder loslässt – zusammen Richtung Sonnenuntergang in ein Leben voller Abenteuer und Freiheit. Es ist der Wunsch, dass er mich nimmt und mit einer Portion seiner Leichtigkeit und einer Kelle Freiheit füttert. Es ist der Wunsch, dieses gewisse etwas, das ich bei ihm so interessant finde, in meinem Leben zu verankert. Am liebsten wurde ich mich in diesem einen Bereich einfach an ihn ketten und all die Abenteuer mit ihm erleben. Es ist auf den ersten Blick der einfachere Weg als mein Leben aufzuräumen und selbst die Dinge darin zu integrieren, die ich mir wünsche. Wie im o.g. Zitat beschrieben, kann uns kein anderer retten. Kein anderer kann unser Leben schön machen. Von keiner Beziehung dürfen wir uns erwarten, dass sie uns aus unserem alten Leben rausholt und uns in ein neues hinein befördert. Willst du etwas verändern, dann ändere es selbst.

Seit dieser Erkenntnis kann ich meine Faszination für ihn aus einem anderen Blickwinkel sehen. Es ist nicht mehr er, den ich so faszinierend finde. Es ist vielmehr sein Leben, das ich will. Aber dies ist einfach keine Grundlage für eine Beziehung. Die Dysfunktionalität dabei wäre vorprogrammiert. Dieser Wunsch gewisse Eigenschaften des anderen durch eine enge Verbindung in mein eigenes Leben integrieren zu wollen, kann kein stabiles Fundament für eine Partnerschaft sein. Es ist Rosinenpicken, anstatt den ganzen Mensch mit all seinen Ecken und Kanten wertzuschätzen.

Ich glaube dies ist ein schönes Beispiel wie uns eine gewisse Faszination für eine andere Person fehlleiten kann. Wir finden jemanden anziehend, weil wir gern auch so schön, bekannt, abenteuerlustig, gebildet, sportlich, cool, etc. sein wollen wie diese Person. Wir erhoffen uns, dass diese Person auf uns abfärbt oder ihr Glanz in diesem oder jenem Aspekt auch ein wenig auf uns abstrahlt. Wichtig ist nur Faszination nicht mit Liebe zu verwechseln. Wenn ich gewisse Eigenschaften gern in meinem Leben haben möchte, dann muss ich die entsprechenden Weichen dazu stellen. Ich muss die Erwartung loslassen, etwas von jemandem zu bekommen. Denn kein Mensch wird mich glücklich machen, wenn ich es nicht selbst bin. Ich kann mich nur selbst glücklich machen. Ansonsten erschaffe ich eine Dienstleistungsbeziehung inklusive Erwartungsdruck und Abhängigkeiten.

Daher habe ich mich entschieden solche faszinierenden Menschen als Leuchttürme für meine Wünsche in meinem Leben anzusehen, an denen ich mich orientieren kann, anstatt zu versuchen eine ergebnisorientierte Verbindung aufzubauen.

Es tut gut meine vielfältigen Faszinationen für Männer zu reflektieren und zu verstehen, warum ich mit einigen von ihnen zusammen sein wollte, selbst wenn die zwischenmenschliche Grundlage gefehlt hat. Sobald ich etwas von jemandem möchte, statt diese Person unabhängig von allem, faszinierend zu finden, dann ist dies ab jetzt ein No-Go für mich hier weiterzugehen. Es Bedarf daher einer gewissen Sinnesschärfung, um reflektiert zu analysieren was sich da gerade in mir regt. Diese Erkenntnis über das Loslassen von Erwartungen hilft mir, besser greifen zu können, was ich wirklich wollen will. 

P.S.: Hier die Links zu den anderen Artikeln zum Thema “Loslassen von Erwartungen:

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