Tag 276:
Auf die innere Stimme hören

In den letzten Tage hatte ich das Gefühl, dass plötzlich alle Reflexionen der vergangenen Monate zusammenfinden und keine weiteren Grundsatzanalysen mehr notwendig sind. Irgendwie fühlte ich, dass ich genug gedacht hatte und weiteres Durchdenken meiner Probleme keinen Mehrwert mehr generieren würde. Stattdessen stand bei mir Folgendes auf dem Lernplan: Bei mir bleiben und auf meine innere Stimme hören. Sie zu hören gelang mir eigentlich immer ganz gut. Nur danach zu handeln, brachte mich oftmals fast um den Verstand. Ich hatte ein Grundgefühl zu etwas oder jemandem, aber anstatt auf das zu hören, schalteten sich meine sehr rational analysierenden Gedanken ein, die mich von der Wahrheit meiner inneren Stimme ablenkten. Die Gedanken in meinem Kopf schafften einen Nebel, in dem ich nichts mehr klar sehen und auch keine sinnvollen Entscheidungen mehr treffen konnte. Und vor allem schafften sie ein Gedankenchaos, das mich von der Wahrheit meiner inneren Stimme entfernte.

In den letzten Wochen ist mir aufgefallen wie verführerisch diese Gedanken sind, deren Ansinnen es ist mich zu verwirren und meine innere Klarheit zu verschleiern. Nachdem ich dies erkannt hatte, arbeitete ich aktiv dagegen an. Ich erlaubte mir auf meine innere Stimme zu hören – auch wenn meine Gedanken dagegen sprachen – und einfach zu schauen was passiert und welche Türen sich abseits meiner Standardwege auftun würden. Ich habe aufgehört in dem Strom der unzähligen Geschichten in meinem Kopf zu baden und ließ los.

So richtig leicht fiel mir das zu Beginn nicht. Ich bekam Gedankenimpulse, weil ich mich an das Denken und Durchdenken der letzten Monate einfach so sehr gewöhnt hatte. Ich hoffte, dass wenn ich nur genug denken würde, dass dann die nächste wunderbare Einsicht auf mich warten würde. So wie es eben der Rhythmus war, in den ich mich so schön eingetanzt hatte. Doch so war es diesmal nicht. Ganz im Gegenteil. Denn das Schreiben, das mir sonst meist so leicht von der Hand ging, fühlte sich schwer und anstrengend an. Ich begann an Texten zu schreiben und meine vielen Gedanken zu ordnen, doch je mehr ich darüber nachdachte, desto unklarer wurde mir, was ich eigentlich sagen wollte und mir wurde bewusst, dass all das Denken, was ich gerade anstellte, überhaupt keine Relevanz hatte. Jeder Post, den ich begann zu schreiben, schaffte noch mehr Unruhe und Gedankenchaos und irgendwie passte alles nicht zusammen. Deshalb hörte ich auf – zu denken, zu schreiben und zu versuchen die nächste Erkenntnis zu erhaschen und ließ mich treiben. Ich tat einfach was sich in mir richtig anfühlte und ließ mich durch meine innere Stimme leiten.

Dabei fiel mir auf, dass meine Gedanken mein inneres Gefühl nicht abdecken konnten. Ich befand mich auf einer tieferen Ebene, die mit Worten nicht zu beschreiben war. In mir war alles so friedlich und klar und jeder Versuch das einzuordnen und zu benennen, scheiterte. Deshalb zog ich mich erst einmal von allem zurück, weil jedes Gespräch im Außen mir Stück für Stück bedeutungsloser vorkam. Ich sagte Dinge, die mir beim Aussprechen nichtig vorkamen und bei denen ich merkte, dass sie einfach nicht des Pudels Kern traffen. Am liebsten wollte ich einfach nur schweigen, für mich sein und die Wahrheit und den Frieden, der von dieser ausging, in mir spüren, ohne dies weiter durchdenken und mitteilen zu müssen. Gestern tat ich dann endlich wonach ich mich schon länger sehnte. Ich hörte auf meine Bedürfnisse, machte mein Telefon aus und ließ mich von nichts mehr ablenken. In allem was ich tat, ließ ich mich von meiner inneren Stimme leiten – unabhängig von der Tageszeit, Erwartungen von anderen Menschen nach dem Beantworten ihrer Nachrichten oder Gedanken darüber was heute noch alles gemacht werden müsste. Ich lebte einfach im Moment. Und dabei kam sie ganz ohne anstrengende Analyse und Schreibzwang – die nächste Erkenntnis.

Wenn ich mir erlaube auf meine innere Stimme zu hören, dann habe ich keine Probleme. Meine Probleme entstehen dort, wo meine Gedanken und meine antrainierte Vernunft versuchen meine innere Stimme zu übertölpeln und das Sagen zu haben.

Ich habe dabei noch einmal an viele meiner vergangenen Beziehungen gedacht. Mit den meisten Männern wusste ich nämlich bereits von Anfang an, wie sich das Miteinander auf längere Sicht entwickeln würde. Es war dieses erste Gefühl beim Kennenlernen – diese berühmten ersten drei Sekunden oder der erste Eindruck bevor man sich überhaupt näher kennenlernt. Doch anstatt darauf zu vertrauen und weil ich mich in meiner Vergangenheit so sehr nach einer Beziehung und Liebe gesehnt habe, nahm ich oft von meinem inneren Bauchgefühl Abstand und versuchte es doch irgendwie zu probieren bzw. möglich zu machen.

Als ich Mr. wunderschöne Nacht im Mai kennenlernte (gerade heute haben wir mal wieder miteinander telefoniert) war von Anbeginn ein ganz besonderes Gefühl da. Ich weiß noch, wie ich in der Nacht, nachdem wir uns kennenlernten ins Bett ging und einen wahnsinnig intensiven Sex-Traum von uns beiden hatte. So intensiv und besonders, wie ich noch nie zuvor und auch niemals danach solch einen Traum hatte. Irgendwie hatte ich schon damals gespürt, was sich danach ereignen würde – auf eine fast hellseherische Art und Weise.

Es kann aber eben auch genau anders herum sein. Wenn die innere Stimme weiß, dass es nicht passen wird. Ich möchte das gern an dem Beispiel mit meinem Ex-Kollegen plausibel machen. (In meinem Kopf könnte ich das auf viele andere Männer meiner Vergangenheit anwenden, doch er ist aufgrund der letzten Texte irgendwie am passendsten).

Als wir uns auf der Arbeit kennenlernten, hatte ich irgendwie ein komisches Gefühl. Ich konnte es nicht beschreiben, aber irgendwie war es nicht stimmig. Deshalb bemühte ich mich nie um ein weiteres Treffen mit ihm. Ich hatte einfach nicht das Gefühl, dass wir zwischenmenschlich zusammenpassen würde – und das war damals abseits jeglicher Dating-Gedanken und „Gefallen- bzw- Haben-wollen-Intentionen”. Mehr als ein Jahr später sahen wir uns auf einer Firmenfeier wieder. Er sprach mich an und ich hatte ganz vergessen woher wir uns kannten sowie dummerweise auch seinen Name… Peinlich. Aber auch danach war kein Impuls eines Wiedersehens da. Ein paar Monate später war ich in der Stadt, in der er mittlerweile lebte. Ich wusste gar nicht, dass er dorthin umgezogen war. Ich postete es auf Facebook und er schrieb mir, ob wir uns nicht treffen wollen. Da ich dort sonst nicht wahnsinnig viele Menschen kenne und die Stadt gern besser kennenlernen wollte, fand ich das eine gute Idee. Doch auch damals – es war kurz bevor ich “Mr. wundervolle Nacht im Mai” kennenlernte, d.h. es war definitiv Raum da um mich von einem Mann faszinieren zu lassen – war da kein Impuls aus diesem Abend mehr zu machen. Stattdessen weiß ich noch wie wir uns verabschiedeten und ich auf dem Weg ins Hotel dachte: „Ach menno, war das wieder ein furchtbar langweiliges und zähes Gespräch.“ Leider hatte ich mit den meisten meiner Ex-Kollegen aus dieser Firma diese Art Gespräche und ich ließ den Abend einfach hinter mir ohne, dass von meiner Seite nach mittlerweile drei Treffen irgendein Interesse nach weiterem Kennenlernen bestanden hätte. Sicher ein netter Typ und ich fand es total schön, dass er sich die Zeit dafür nahm mit mir etwas trinken zu gehen, aber das war es dann eben auch.

Das änderte sich dann, als sich plötzlich eine Lücke in meinem auftat und ich mir wünschte, dass sie nicht so wehtun und sich schnell wieder füllen würde. Plötzlich schalteten sich meine Gedanken ein und überstimmten meine innere Stimme: „Hmm, vielleicht ist der ja doch was?“ hörte ich es in meinem Kopf rauschen. „Genieß es doch einfach, dass er dich gerade über die Trennung von Christian hinwegträgt.“, flüsterte es mir ins Ohr. Ich spürte wie meine Ratio etwas an ihm suchte, das mich doch von ihm überzeugen könnte. Und wenn man etwas sucht, dann findet man auch etwas. Auch wenn das den Impulsen entgegen stand, die ich ihm gegenüber hatte.

Als ich mich dann entschied zu ihm zu fliegen, wusste ich, dass es falsch war. Doch anstatt darauf zu hören, ließ ich mich wieder von Dingen im Außen treiben und anstatt einfach nicht zu fliegen und zu schauen, was dann passieren würde, flog ich trotzdem. Der Reiz des Abenteuers war damals noch verlockender als die Fähigkeit zu trainieren bei mir zu bleiben und mich dem Leben hinzugeben. Ich wollte dem Ganzen eine Chance geben, weil ich hoffte, dass mein erster Eindruck von ihm vielleicht falsch gewesen war. Es war die Sehnsucht nach Liebe in mir, die es gern passend gemacht hätte und in ihm etwas sehen wollte, was dort nicht war. Doch wenn ich auf meine innere Stimme gehört hätte, wäre diese Chance gar nicht nötig gewesen und wir hätten unsere Zeit ohne einander wahrscheinlich besser verbringen können.

Auch nach dem gemeinsamen Wochenende schaffte ich es nicht einen Schlussstrich zu ziehen und ihm zu sagen, dass es aus meiner Sicht nicht passte. Ich wollte einfach nicht so ganz allein sein. Stattdessen analysierte ich in den Wochen danach alles was er tat sowie wie, was und wann er mir schrieb. Statt im Gefühl zu bleiben, wechselte ich in den Kopf. Ein Teil von mir suchte nach Bestätigung, dass er nicht der Richtige für mich ist und ein anderer Teil suchte nach Dingen, die ihn zumindest in der „Vielleicht“-Kategorie halten könnten, damit ich mich nicht mit mir und den dahinter liegenden Problemen beschäftigen musste. Dazu waren meine Abwehrmechanismen damals einfach noch zu groß.

Es brauchte noch weitere vier Wochen bis das mit uns so richtig gegen die Wand fuhr und ich erkannte, dass ich von all meinen Problemen mit Männern endlich eine Pause brauchte. Es musste erst so richtig weh tun, damit der Leidensdruck größer war, als die Schmerzen der Veränderung, die ich vor mir hatte.

Was ich daraus lerne ist, dass jedes Leid, das ich mit ihm und wahrscheinlich auch in meinem gesamten Leben hatte, darauf beruhte, dass ich meine innere Stimme zwar hörte, sie aber nicht ernst nahm und lieber auf meinen denkenden Verstand vertraute, der mir schöne Geschichten erzählte.

Es ist wohl kein Wunder, dass ich so geprägt bin. Schließlich wurde ich – wie die meisten von uns – spätestens ab der Schulzeit darauf getrimmt, nicht das zu tun, was sich in mir gut und richtig anfühlt, sondern das zu machen, was nach Bewertungskriterien des Schulsystems und der Gesellschaft richtig war. Und in diesem System war es höher angesehen die eigene Stimme und die eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken, wenn es dafür sorgte mehr zu lernen und bessere Noten zu schreiben. Es ist daher nicht verwunderlich, dass wir auch im Privatleben anhand dieses Musters leben und sich alles andere als furchtbar falsch anfühlt.

So war es auch bei mir. Mich auf meine innere Stimme zu besinnen, fühlte sich am Anfang unsagbar komisch an und machte mir Angst. Mein Verstand schoss ganz schnell wieder mit unzähligen Gedanken dazwischen, was alles schief gehen könnte, wenn ich das jetzt einfach mal so täte. Seitdem ich mir erlaube es dennoch zu tun und darauf zu vertrauen, dass es gut werden wird, realisiere ich, dass es tatsächlich auch gut ist.

Ich denke, das Ganze ist wie bei allen Verhaltensänderungen. Es dauert eine Weile bis man vollkommen im Stande ist anhand der neuen Muster zu leben und sie den alten vorzuziehen. Ich werde also noch eine Weile brauchen, bis ich meiner inneren Stimme komplett das Steuer überlassen habe. Aber ich freue mich wahnsinnig darauf welches Leben ich führen werde, wenn ich mich traue mich einfach nur auf meine innere Stimme zu besinnen und die Nebelmaschine meiner Gedanken abzuschalten.

P.S.: Heute morgen hatte ich einen Impuls dieser inneren Stimme dieses Thema in einen Beitrag schreiben zu wollen. Und als meine Worte ihren Weg auf das Display fanden, fühlte es sich im Gegensatz zu all den letzten Tagen richtig und gleichzeitig ruhig an. Es ist nicht leicht die Impulse der inneren Stimme von Abwehrmechanismus und Impulsen unseres Egos zu trennen. Darauf werde ich bald noch einmal genauer eingehen. Gerade sagt meine innere Stimme nämlich, dass der heutige Post beendet ist.

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