Tag 25:
Der Leidensdruck muss größer sein als die Schmerzen der Veränderung

Ich bin stolz auf mich! Ich könnte die Korken knallen lassen und auf den Tischen tanzen. „Befreiung!” tönt es aus meinem Mund, meinen Augen und mein ganzer Körper tanzt im Takt des Befreiungsblues. Und warum all die Freude? Weil ich endlich einmal etwas nicht mache. Weil ich einfach nur bin, anstatt zu gefallen. Ich. Echt. Gesunde Abgrenzung.

Mein ganzes bisheriges Leben war geprägt davon etwas zu erreichen, erfolgreich zu sein und für meine Taten Bewunderung und Lob zu bekommen. Gesehen werden und angenommen sein, standen im Zentrum meiner Motivation und mein gesamter Selbstwert war darauf aufgebaut. Auf diese Weise wurde ich erzogen. Nun ist es an der Zeit mich zu finden. “Wer bin ich?” statt “Was tue ich?”! Es geht darum die wunderschöne Statue aus dem groben Marmorblock herauszumeißeln, der ich bis jetzt war. Ich habe die letzten 29 Jahre Muskelaufbau – bzw. auf mich bezogen Fähigkeitenaufbau – betrieben. Jetzt ist Definitionsphase! Ich schwitze alles Überflüssige ab, das den Blick auf mein wahres Selbst verdeckt.

Ich ruhe noch mehr in mir, vertrete meine Interessen und verstehe die Zusammenhänge hinter meinen Gefühlen und was sie mir sagen wollen. Ich fühle mich schon nach den ersten 24 Tagen gereift, stärker und sicherer als ich es jemals war. Ich fühle es in mir, anstatt es nur als Fassade vor mir herzutragen. Außen und Innen werden mehr und mehr eins.

Genau darum geht es mir – das Ablegen der alten Fesseln, der Abstand zu dem, was war und das Herausfinden, was werden soll.

Neulich bekam ich das Feedback, warum ich nicht einfach meine “sexuelle Ernährung” umstellen würde, anstatt mein Sex-Detox zu zelebrieren. Ganz einfach: Weil ich aktuell gar nicht genau weiß, was gut für mich ist und welche Art neuer Ernährung ich auf meinem Speiseplan haben will. Ich weiß nicht auf was ich Appetit habe und auch nicht was gut für mich ist. Stattdessen nehme ich mir die Zeit dies herauszufinden.

Manche Menschen, die von meinem Experiment hören, denken, dass ich zu oft von Männern verarscht wurde und jetzt depressiv und traurig alles von mir wegschiebe, was gut für mich sein könnte. Diese Menschen haben leider nicht verstanden warum es mir geht und vielleicht habe ich mich auch nicht klar genug ausgedrückt. Um ehrlich zu sein, habe ich mich zu oft selbst verarscht. Ich habe Dinge gewollt, die mich nicht glücklich machten und bin Fantasien nachgelaufen, die in das Leben von anderen gehören. Und all das, weil ich selbst nicht weiß, was es ist, das ich wollen will.

Ich brauche Abstand, um herauszuarbeiten was wirklich zu mir gehört. Ich brauche Distanz von all dem was war, um es in seiner Gesamtheit zu reflektieren und meine Schlüsse daraus ziehen zu können. Ich bin eigentlich fast immer irgendwie mit jemandem gewesen – auch wenn es selten die große Liebe war und habe mich an den kleinen Dingen des Miteinanders aufgerieben und mich über dies oder das beschwert oder geweint. Ich war im Detail, anstatt ein Verständnis über die Dynamiken im Großen und Ganzen zu bekommen. Ich war zu fixiert auf einzelne Personen, um das Mysterium von Liebe und großartigem Sex ganzheitlich zu begreifen. Was ich getan habe, war ein großes Land unter einer Lupe anzuschauen und dabei zwar kleine Steine zu entdecken, aber weder die weiten Felder noch Flüsse zu kennen, die dem ganzen erst Struktur geben.

Es geht mir nicht darum nach 12 Monaten so ausgehungert zu sein, dass ich danach wieder mit sexuellem Fast Food zufrieden bin. Es geht mir darum zu verstehen, welche sexuelle Ernährung mir gut tut und schmeckt und welche Ernährungsunverträglichkeiten ich diesbezüglich habe bzw. wie ich mit diesen umgehen kann.

Was ich tue, ist nicht nur eine Ernährungsumstellung. Was ich tue ist zuerst Ernährungswissenschaften zu studieren, um alle Details einer gesunden Ernährung zu verstehen, bevor ich mir selbst einen neuen Ernährungsplan schreibe. Klar könnte ich auch einfach zu einem Experten gehen, der mir die besten Empfehlungen gibt. Aber so ticke ich nicht. Ich funktioniere über Selbsterfahrung und am eigenen Leib zelebrierte Aufklärung. Mir reicht nicht nur eine Antwort, ich will verstehen. Ein bloßer Rat, wäre bei mir schnell wieder abgetan und ich wäre ganz fix wieder zurück bei meinem alten Verhalten. Veränderung muss schließlich auch ein bisschen weh tun, sonst ist der Weg zurück zu leicht.

Ich habe in den letzten Tagen oft darüber nachgedacht warum ich mich in dieser einen Nacht mit Christian plötzlich mit Tränen vor dem Badezimmerspiegel wiederfand. Er war weder der falsche Mann, noch habe ich ihn zu wenig gekannt, um zu wissen worauf ich mich einlasse und was ich erwarten kann. Die Art Sex, die wir in dieser Nacht hatten, war so wie wir es unzählige Male vorher getan und genossen hatten. Und doch war irgendetwas anders.

War es Scham? Wut? Enttäuschung? Es war alles. Aber nicht gegen ihn gerichtet, sondern gegen mich selbst. Ich habe mich geschämt schwach geworden zu sein, war wütend seine Bedürfnisse vor meine zu stellen und enttäuscht, dass ich nicht in vollem Ausmaß zu mir stand. Meine Tränen waren Tränen meiner Seele, die sich nicht beachtet fühlte. Ich habe nicht geweint, weil er mir wehgetan hat, sondern weil ich mich selbst verletzte. Es brauchte diese Tränen, um zu erkennen, dass etwas in meinem Leben absolut falsch lief. Ich brauchte diesen schmerzhaften Moment, um endlich etwas zu ändern. Hätte ich diesen Abend nicht so schmerzhaft empfunden, hätte ich womöglich einfach weiter gemacht wie bisher. Der Leidensdruck muss größer sein als die Schmerzen der Veränderung, um einen erfolgreichen Wandel zu durchleben.

 

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