Tag 23:
Alljährliche Reibungspunkte

“We can think of resistance as friction; we need it in order to grow! it gives us something to push against, to test ourselves against, to learn from about our strengths and the power of our will. It becomes a friend pointing in a direction, guiding rather than limiting us, when we conceive of it in these terms and no longer believe we are helpless before its ponderous presence.” –Molly Brown (Unfolding Self)

Ich hoffe ihr habt alle fröhliche und besinnliche Feiertage. Ich habe sie nicht. Und ich will nicht so tun, als ob ich sie hätte. Ich weiß, dass es Millionen von Menschen genauso geht wie mir. Sie kommen nach Hause – mehr oder weniger mit Vorfreude – und merken, dass sie mit ihrer Familie mit ein wenig Distanz viel besser klarkommen als der extremen Nähe ausgeliefert zu sein. Genauso geht es mir jedes Jahr an Geburtstagen oder Weihnachten.

Meine Familie sind Bauern. Sie reden wie Bauern, verhalten sich wie Bauern und essen wie Bauern. Ich wäre schon froh, wenn essen und reden zyklisch getrennte Vorgänge wären, anstatt dass sie fröhlich vor sich hin mit vollem Mund erzählen. Ich fühle mich fremd im Kreise meiner Liebe. Das Leben, das sie führen ist nicht meins. Und ich wünschte mir so sehr, dass ich eine Familie hätte, die ein klein wenig mehr Weihnachten auf eine Art feiern würde, wie ich es gern hätte. Ein festliches Weihnachten mit gutem Essen und Tischgesprächen, die mehr als nur die Stille füllen und zum „social grooming“ beitragen.

Als ich jünger war, habe ich gehofft, dass ich in der Familie meiner Freunde „meine“ Familie finden würde. Tatsächlich viel es mir auch daher so schwer mich von meiner ersten großen Liebe zu trennen. Seine Familie war zu meiner Familie geworden. Wenn Weihnachten bei mir zu Hause überstanden war – zumindest das Anstandsprogramm am 24.12. – flüchtete ich noch am gleichen Abend zu ihm. Dort war Weihnachten so wie ich es mir vorstellte – festlich, besinnlich und mit angenehmen Gesprächen. Und seit mindestens so langer Zeit wünsche ich mir Weihnachten mit meiner eigenen Familie auf die von mir gewünschte Weise feiern zu können.

In meiner Familie bin ich ständig im Verteidigungsmodus. Jeder will mir seinen Willen aufdrängen und ich bin fortwährend am Neinsagen und ein bisschen Ruhe in dieses chaotische und übergriffige Treiben zu bringen während mein Herz leise weint. Ein Angebot einmal auszuschlagen reicht auch in der Regel nicht, man muss bei uns eine Verteidigungsanlage mit Dauerfeuer auffahren, um sich erfolgreich zu behaupten. Es ist anstrengend und Kräfte zehrend. Und leider gibt es keine Ecke, in die ich mich zurückziehen und einfach nur in Ruhe ich sein kann. Ich hätte gern eine Familie, zu der ich mich zugehörig fühle und die meine Grenzen respektiert während ich sie besuche.

Ich habe in den letzten Tage realisiert, dass so viele der Tränen, die ich mein Leben lang geweint, ihren Ursprung in den Problemen meiner Familienmitglieder haben, die sie selbst nie aufgeräumt haben und stattdessen an mich weitergaben. Es tut weh zu realisieren, dass so viel Leid hätte vermieden werden können, wenn meine Bindungspersonen sich erst einmal um sich gekümmert hätten, anstatt mich als Kompensation in ihr Leben zu bringen. Ein kleines bisschen mehr Eigenverantwortung. Ein klein wenig mehr Weitsicht.

Ja, ich kann mir einreden, dass alles für etwas gut ist und dass ich dank meiner familiären Erfahrungen so stark und erfolgreich geworden bin, hat sicher auch gute Seiten. Ich kann mir sagen, dass in anderen Familien Kinder missbraucht werden oder manche Menschen gar keine Eltern haben und Weihachten allein feiern. Ja, ich hätte es schlimmer treffen können. Ich hätte aber auch auf Menschen treffen können, die mir einen Ort des Wohlfühlens geben, an den ich gern zurückkomme. Und die Tatsache, dass ich diesen Ort nicht habe, lässt mich von einem Mann träumen, mit dem ich diesen Ort genauso wie eine eigene Familie aufbauen kann, die so ist, wie ich es mir wünsche. Allerdings macht es diese Ausgangssituation so schwer für mich. Auf der einen Seite habe ich einen Aversion gegen Beziehungen, weil ich sie nur als einengend und vereinnahmend erlebt habe und mich frage, warum ich dieses Ziehen und Zerren auf mich nehmen sollte. Auf der anderen Seite habe ich ganz genaue Erwartungen und suche den Mann, der in das beschauliche Bild der Familie hinein passt, die ich mir wünsche. Und weiß ich, dass dies keiner leisten kann. Es ist die Arbeit an mir und das Aufräumen in mir, das ich nur selbst bewerkstelligen kann. Denn wenn ich mich dieses Themas nicht annehme, werde ich auch für meine eigenen Kinder nicht die sichere Bindung erzeugen können, die ich mir für sie so sehr wünsche.

 

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