Tag 150:
Slow Sex

Ich habe gestern einen wundervollen Podcast von der lieben Laura Malina Seiler gehört (Link Spotify / Link iTunes).

Es geht darin um den Unterschied zwischen bedeutungsleerem „Ficken“ und „Liebe machen“. Dieser Podcasts hat mich wahrlich berührt, weil ich mich so darüber freue, dass Menschen und insbesondere Frauen darüber heutzutage so offen und ehrlich sprechen. Es ist schön zu spüren, das ich mit meiner Sichtweise und mit meinen Erfahrungen nicht allein bin. Und so kann es für immer mehr Menschen immer klarer werden, was Sex eigentlich ist und sein sollte. Menschen, die Pornos geschaut haben, bevor sie überhaupt zum ersten Mal selbst sexuell aktiv waren oder zumindest von dieser Welt massiv beeinflusst sind. Frauen, die denken wie ein Pornostar ficken bzw. sich ficken lassen zu müssen, um die perfekte Frau zu sein und Männer von sich zu überzeugen. Und Männer, für die der Orgasmus einer Frau darüber entscheidet, ob sie es bringen oder nicht. Wahrlich: Viele von uns müssen Sex tatsächlich neu lernen, weil wir als „Generation Porno“ mit einem ganz anderen Bild von Sex aufgewachsen sind, als es eigentlich gedacht ist.

Langsam heißt nicht langweilig

Ich habe in den letzten Tagen viel darüber nachgedacht, was den Sex mit “Mr. wundervolle Nacht im Mai” tatsächlich so wunderschön und berauschend gemacht hat. Was war es, dass mich mit ihm in eine andere Welt und wie in Trance versetzt hat?

Und so langweilig wie es vielleicht klingt: Wir haben alles einfach ganz langsam und ruhig angehen lassen. Und deshalb war es nicht nur ein wildes und Orgasmus-getriebenes Abenteuer, sondern Slow-Sex. Diese Rahmenbedingungen erlaubten uns, die Verbundenheit, die wir von der ersten Sekunde miteinander hatte, auch in der Horizontalen weiter zu zelebrieren und uns ganz intensiv zu spüren. Es ging nicht um die Jagd von Orgasmen und trotzdem kamen wir beide immer und immer wieder. Aber statt nur die kurzen Phasen des Orgasmus-Highs zu spüren und dann wieder wie getrieben danach zu suchen, dass das nächste Hochgefühl kommt, war einfach jede Sekunde absolute Ekstase. Es war so absichtslos und genau deshalb so intensiv. Wir versuchten nicht uns gegenseitig etwas zu beweisen. Wir waren einfach ganz wir selbst und ließen es fließen. Und dieser Fluß setzte eine wahnsinnig schöne Energie frei, die uns beide in der Tiefe ergriff.

Sex ist Heilung

Viele Jahre habe ich nach dieser intensiven Art des Miteinanders gesucht. Nur leider an den falschen Orten. Meine ersten Beziehungen gingen immer deshalb in die Brüche, weil irgendwann keine Lust mehr auf den anderen vorhanden war. Daher bewertete ich Männer ab einem gewissen Punkt nur noch danach, ob sie gut im Bett waren. Ich wollte verhindern, dass es wieder am Spaß und der langfristigen Anziehung in der Horizontalen scheitern würde. Und so suchte ich nach Mr. Superlover und legte meinen Fokus in großem Maße darauf. Je intensiver und ausgefallener der Sex war, desto eher war ich bereit mich gedanklich auf eine Beziehung einzulassen. Und gleichzeitig vernachlässigte ich alle anderen Bereiche. Der Sex vernebelte meine Gedanken und machte mich zum Junkie. In dieser Abhängigkeit von körperlichen Kicks war es mir unmöglich meinen Gegenüber realistisch zu bewerten.

Heute realisiere ich, dass es überhaupt nicht darum geht wie intensiv und unkonventionell der Sex zu Beginn ist. Es geht darum, dass die Verbindung miteinander da ist und man diese aufrecht erhält. Die Lust-Flauten in meinen früheren Beziehungen war nicht deshalb bedingt, weil der Sex an sich schlecht gewesen wäre. Es lag daran, dass wir über die Zeit die Verbindung zueinander verloren hatten.

Ich habe begriffen, dass es darum geht potenzielle Partner zuerst als Mensch kennenzulernen. Passt es auf menschlicher Ebene? Spürt man eine Verbindung zu dem, was der andere sagt und denkt? Passen die Wertesysteme zueinander? Hat man eine ähnliche Vorstellung von der Welt, dem Leben und von Beziehungen? Kann man dem anderen vertrauen? Ist er aufgeräumt oder läuft er weg, sobald er mit tieferen Gefühlen in Kontakt kommt? Ist er wirklich so wie er sich selbst gern sieht und darstellt und spiegelt sich das auch in seinem Verhalten wieder? Haben wir uns auch etwas zu sagen, wenn wir uns nicht ständig gegenseitig unsere Sexfantasien ins Ohr flüstern oder per Nachricht mitteilen? Ist da dieses Fundament auf geistiger und seelischer Ebene, auf das man die körperliche Dimension quasi als „Haus“ der Beziehung aufbauen kann? Hält das ganze Konstrukt dann noch oder wird das Fundament brüchig und das Haus stürzt ein?

Wenn das stimmt, wird auch der Sex dieses berauschende Gefühl vermitteln, wonach sich jeder Mensch sehnt. Wenn wir nach immer ausgefalleneren Sexpraktiken suchen, suchen wir eigentlich nur nach der Intensität, die die Verbundenheit miteinander schaffen kann. Manche Menschen suchen dieses Gefühl im Schmerz und verrückten Spielen – die Intensität davon kann sehr nah an das herankommen, das einem Sex in Verbundenheit schenken kann. Der Unterschied daran ist nur, dass diese Praktiken wie Drogen sind. Sie verschaffen einem ein kurzes High und lassen einen danach unerfüllt zurück, sodass man schnell auf die Suche nach dem nächsten Kick geht. Hier liegt der größte Unterschied zum Gefühl der Verbundenheit. Es ist beständig und bleibt, wenn man es zulässt und dieser Erfahrung Raum gibt. Es befriedigt auf eine Weise, die erfüllt. Es erzeugt etwas, das nicht den nächsten Kick sucht. Es heilt alte Wunden und befreit von Angst.

Vielleicht kennst du dieses Gefühl bereits, vielleicht suchst du noch danach. Doch wo findest du es? Wie erklärst du deinem Partner, dass du mit der aktuellen Art und Weise, wie ihr miteinander intim seid, nicht zufrieden bist? Wie sprichst du dies mit einem Mann an, den du gerade erst kennengelernt hast und der Sex miteinander vielleicht sogar noch aussteht? Insbesondere wenn der andere womöglich noch nie Kontakt mit einer solchen Art Sex hatte und nicht weiß, was er sich darunter vorstellen soll und wie sich das anfühlen wird.

Womöglich hast du Angst, dass dein Gegenüber denken könnte, dass ihr ab jetzt nur noch Blümchensex habt und sich dein Partner dabei vielleicht sogar langweilen könnte. Wenn du eine Person bist, die Sex bisher als Hebel nutze, um das Gegenüber von sich zu überzeugen und zu binden, macht es dir vielleicht Angst, weil du dich fragst, was dann noch von dir bleibt. Ich kann dir jedoch die Angst nehmen. Wenn ihr euch beide auf das Experiment einlasst, wird es ohne Frage anders sein als das, was ihr bisher hattet. Aber anders auf eine ganz besondere und wunderschöne Weise.

Im Post zu Tag 1 habe ich dieses Gefühl der Verbundenheit folgendermaßen beschrieben:

“Das Gefühl miteinander zu verschmelzen, nicht mehr zu wissen wo man selbst aufhört und der andere anfängt, seine Hände nicht einmal für eine Sekunde voneinander lassen zu können. Absolute Ekstase und Leidenschaft. Komplett im Fluss sein – sprachlos, ergriffen, tief und bedeutungsvoll.”

Ich habe es seitdem immer genauso beschrieben und ich habe noch von keinem gehört, dass er/sie diese Art von Sex nicht ansprechend fände. Wenn ich es heute einem Mann erklären würde, dann würde ich wohl sagen: Stell dir vor, dass du beim Sex nicht nur deinen Penis spürst und die Orgasmen genießt, sondern dass du jede Faser deines Körpers wahrnimmst und jeder Moment sich so intensiv anfühlt wie ein wunderschöner, langer und zelebrierter Orgasmus.

Menschen, die das nicht wollen und dafür nicht offen sind, sind einfach nicht die Personen, mit denen du die Beziehung auf körperlicher Ebene vertiefen solltest – wenn du eben diese andere Sicht auf Sexualität hast. Du kannst nur ein Angebot machen und der/die andere ist frei darin zu entscheiden, ob er/sie darauf eingehen will. Wenn er oder sie sich dagegen entscheidet, dann hat das nichts mit dir zu tun. Das heißt auch nicht, dass du deine Sichtweise ändern musst und dich doch wieder auf die herkömmliche Art des Sex einlässt, die dich nicht erfüllt. Das heiß nur, dass der andere – vielleicht noch – nicht bereit für diese Tiefe ist.

Wenn du diese Art von Sex praktizierst, kommst du in engen Kontakt mit deinem Inneren und deinen Gefühlen. Du wirst dich auf eine Art und Weise spüren, die du so vielleicht nur von Achtsamkeitsübungen kennst. Nicht jeder kann und möchte das. Manche Menschen laufen davon, wenn sie sich zu intensiv spüren. Dahinter stecken oft Schutzmechanismen, die anspringen um sie davor zu schützen, mit ihren Traumata in Kontakt zu kommen. Das ist ok. Lass diesen Mensch seinen Weg gehen – egal was du darüber denkst oder ob du glaubst „die Wahrheit“ für ihn zu kennen und ihn „bekehren“ zu können. Du bist als allererstes für dich und deine Heilung verantwortlich. Du kannst andere Menschen nicht heilen, wenn sie es selbst nicht wollen. Du kannst nicht beeinflussen, wann und ob der/die andere dafür bereit ist sich zu öffnen. Wir alle haben dafür unsere eigene Geschwindigkeit und wenn du versuchst einen anderen dazu zu zwingen, wirst du nur die Fluchtmechanismen des anderen bestärken.

Um dieses Thema zu vertiefen, kann ich dir das Buch „Soulsex“ von Eva-Maria Zurhorst wärmstens empfehlen. In manchen Partnerschaften und Verbindungen kann es tatsächlich auf Anhieb funktionieren diese Art Sex miteinander zu genießen, insbesondere dann wenn beide in gutem Kontakt mit sich und dem Partner sind. In anderen Beziehungen dauert es unter Umständen länger. Oftmals muss erst einmal jeder der Partner lernen sich selbst überhaupt in dieser Feinheit zu spüren und dann auch noch zulassen den/die andere so nah an sich heran und sich wirklich auf den anderen einzulassen. Oftmals kommen hier Themen auf, die noch nicht ausgeheilt sind und im Verlauf zu Abwehr und Blockaden führen. Wichtig ist, dass ihr euch versprecht nicht wegzulaufen und gewisse Regeln setzt, wie ihr mit so etwas umgehen wollt.

Es ist ein Weg. Aber es ist ein wunderschöner. Und das Ziel ist der Wahnsinn!

Happy healing!

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