Tag 15:
Nicht perfekt sein,
sondern perfekt
du selbst sein

Gestern habe ich in einem Nebensatz erwähnt, dass ich oft der Überzeugung war nicht zu genügen. Ich war der Meinung nicht gut genug zu sein, damit jemand mit mir langfristig eine Beziehung möchte. Auf diese Weise strebte ich immer mehr nach Perfektionismus, um keine Makel und Schwächen mehr zu haben. Ich wollte sicher gehen, dass es nicht an mir lag, wenn das Daten ins Leere ging.

Ein Kennzeichen von Bindungsgestörten ist, dass sie ihren Selbstwert über die Reflexion von außen generieren. Sie fühlen sich nur wirklich wertvoll und liebenswert, wenn ihre Umwelt zufrieden mit ihnen und ihren Taten ist. So traf es mich auch immer tief ins Mark, wenn Menschen sich über gewisse Verhaltensweisen von mir beschwerten. Ich fühlte mich auf einmal falsch und nicht mehr liebenswert. Gerade vor einer Sekunde ging es mir noch gut. Doch wenn die Kritik zu einer bestimmten Sache kam, fühlte ich mich nicht nur zu dieser oder jener Eigenheit angesprochen, sondern mich in meinem gesamten Selbst zurückgesetzt. Mein Selbstwert sank binnen einem Moment auf den anderen in den Keller. Die Launen des anderen projizierte ich direkt auf mich. Wenn die Gegenseite nicht rundum glücklich war, musste ich etwas falsch gemacht haben. Mit der Zeit fühlte ich mich nicht mehr wie ich selbst. Ich war eine Kumulation von Verhaltensweisen, die meinen Gegenpart glücklich machen und ihn von mir überzeugen sollten. War er Sportler, wurde ich zur Athletin, war er Journalist, fing ich an zu schreiben, war er Verleger, schrieb ich ein Buch, liebte er eine bestimmte Musikrichtung wurde ich zum größten Fan. Ich passte meinen Kleidungsstil an, adaptierte meine Ansichten und nahm ein Beziehungs-Ich an, um zu gefallen. Ich dachte ich müsste für den anderen perfekt sein, um geliebt werden zu können. Gleichzeitig fiel es mir schwer ehrlich über das zu sprechen, was mich an ihm störte. Sind wir ehrlich, keiner hat keine Macken – auch wenn sie noch so klein sind. Ich schluckte es runter, arrangierte mich, sammelte Frust an und irgendwann erstickte dieser Frust meine Gefühle.

Das Paradoxe daran: Wenn ich darüber nachdenke, was die Dinge waren, aufgrund derer ich mich in der Vergangenheit verliebte und einen Menschen faszinierend fand, dann sind es nicht die strahlend schönen Seiten und die perfekte Bühnenshow. Es sind die Momente, wenn der andere mit Gesichtsmaske auf dem Bett sitzt (ja, es gibt auch Männer, die das tun ;-)) und so süß lächelt, der Augenblick, wenn er mich im Rückspiegel mit seinen großen braunen Augen anschaut, die Tollpatschigkeit und wenn er zum dritten Mal in Folge meinen Geburtstag vergisst und ich schon damit gerechnet habe. Es sind die Momente in denen wir gemeinsam lachen, Quatsch machen und den Sonnenuntergang anschauen. Es sind die Augenblicke, die echt sind. Die Makel, die Ecken und die Kanten. Nicht die glänzende Fassade. Es ist der Kern, das Herz, das Lächeln an der Tür, wenn ich aus dem Aufzug steige.

Warum kann ich das bei einem anderen so empfinden und selbst so hohe Erwartungen an mich stellen? Das Gefühl perfekt sein zu müssen, kommt weniger von mir selbst, als aus meiner Kindheit. Meine Mama war alleinerziehend und hatte es alles andere als einfach. Das Geld war chronisch knapp, die Arbeit schwer und die Gesamtsituation fordernder als es ihre Kräfte hergaben. Ich bewundere sie für all das, was sie geleistet hat. Kinder spüren wenn es ihren Eltern nicht gut geht und beziehen viele Dinge auf sich, die gar nichts mit ihnen zu tun haben. Wenn es Mama nicht gut geht, dann war ich vielleicht kein braves Mädchen, zu anstrengend oder hatte zu viele Bedürfnisse. Als Kind wollte ich meiner Mama möglichst wenig Sorgen machen. Ich lernte fleißig, war ein braves Mädchen und hatte das Ziel im Kopf irgendwann einmal genug Geld zu verdienen, um meiner Mama einen roten BMW zu kaufen. Das war immer ihr Traum. Ja, ich lernte möglichst umgänglich zu sein, um nicht zur Last zu fallen. Gleichzeitig war die kleine Lena oft überforderter mit der Situation und den Umständen als sie es je zugegeben hätte. Sie wollte schließlich keine Schwierigkeiten machen. Und so lernte ich mich selbst stetig zu optimieren und meine Bedürfnisse schön unter der Teppichkante zu verstecken.

Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich mich heute umso weniger in Schablonen packen lasse. Ich bin ich und ich lasse mich nicht verbiegen. Wer das versucht, wird scheitern. Mein Ausweg aus zu vielen Kompromissen, ist das Single-Dasein. Denn das Problem ist, dass ich es auch heute noch extrem schwer finde meine Bedürfnisse adäquat zu behaupten ohne ein schlechtes Gewissen dem anderen gegenüber haben. Ich übe mich darin und versuche Tag für Tag besser zu werden. Es ist ein Weg…

Es geht nämlich nicht darum perfekt zu sein. Versuchst du dauerhaft dieses oder jenes Persönlichkeitsmerkmal zu überspielen, das jedoch ein essentieller Teil von dir ist, wirst du über kurz oder lang scheitern. Der Versuch es wegzudrücken wird mit viel Kampf und Leid verbunden sein und irgendwann wirst du es vermissen und es wieder hervor holen wollen. Es geht nicht darum die perfekte Show abzuliefern. Du kannst nicht die Kraft aufbringen dauerhaft zu schauspielern. Und selbst wenn, ziehst du damit Menschen an, die lediglich zu einer Version von dir passen, die nicht deinem wahren Selbst entspricht. Du kannst dieses Spiel spielen. Es wird dich nur nicht dauerhaft glücklich machen. Anstatt zu versuchen perfekt zu sein, solltest du danach streben perfekt du selbst zu sein. Wenn du perfekt bist, versuchst du allen zu gefallen. Dabei reicht es doch nur einer Person zu gefallen, um eine glückliche Beziehung zu führen. Und wie soll er dich finden, wenn du dich hinter einer anderen Fassade versteckst. Nur wenn du wirklich du selbst bist, ziehst du die Menschen und Momente an, die zu dir passen und die für dich gemacht sind.

Außerdem umgehst du so die Gefahr, dass der schöne Schein irgendwann zusammenbricht. Schließlich ist es nur logisch, dass man einen anderen nicht zu tief in sein Leben herein lässt, wenn es in der Wohnung anders aussieht als vor der Haustür. Menschen, die sich zurückziehen wenn es ihnen schlecht geht, zweifeln unter Umständen daran, ob sie sich „so“ anderen antun können. Vielleicht finden sie in den Momenten nicht die Kraft die Maske hochzuhalten. Ein Rückzug ist in Zeiten des Selbstzweifels dann oft die einfachere Lösung als zu riskieren aufzufliegen.

Was ich euch damit sagen will, ist, dass es nicht darum geht perfekt zu sein. Es ist ein falscher Glaubenssatz. Keiner ist perfekt. Je mehr du es versuchst, desto mehr wirst du scheitern. Es geht darum dich selbst mit deinen Macken so hinzunehmen und dich selbst so zu lieben wie du bist. Natürlich gibt es ein natürliches und gesundes Streben nach Selbstoptimierung. Aber es sollte realistische Ziele haben, die dir gut tun, anstatt zu schaden. Je mehr du du selbst bist, desto selbstsicherer und strahlender wirst du sein. Der Begriff “in sich ruhen” passt hier sehr gut. Menschen spüren unterbewusst ob du dich verstellst. Du hast beispielsweise ein anderes Lachen, wenn du den Witz wirklich lustig findest, als wenn du nur lachst, um mitzulachen. Bei Variante 1 lachst du mit deinem ganzen Gesicht inklusive deiner Augenpartie. Zwingst du dich zum Lachen, dann sind nur deine Mundwinkel aktiv. Dein Gegenüber merkt es vielleicht nicht direkt, aber das Unterbewusstsein nimmt viel mehr wahr, als in deinem Bewusstsein ankommt. Wenn verbales und non-verbales Verhalten nicht kongruent sind, ergibt sich auf Dauer ein eigenartiges Bauchgefühl. Es ist daher viel leichter authentischen Menschen zu vertrauen. Und Vertrauen ist in Beziehungen schließlich ein integraler Bestandteil.

Die Herausforderung für viele ist, dass sie gar nicht mehr wissen, was genau ihr Selbst ausmacht, wenn sie jahrelang mit dem Perfektionismushammer daran herumgewerkelt und darauf eingeschlagen haben. Es kann also sein, dass vieles verdeckt oder versteckt ist, was dich selbst ausmacht und es erst ausgegraben werden muss. Zum Teil ist das eine archäologische Meisterleistung und braucht Zeit sowie ein behutsames Vorgehen. Dich selbst zu finden kann sich anfühlen, wie aus einem groben Marmorblock eine wunderschöne Statue herauszuarbeiten. Es ist anstrengend, manchmal frustrierend und zäh, aber eine Arbeit, an deren Ende Belohnung, Glück und Erfüllung warten.

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