Tag 13:
Der Punkt am Ende
des Satzes

Heute öffnet die Schreibwerkstatt „Lena Lamberti“ etwas später als sonst. Ich komme nämlich gerade erst vom Coaching nach Hause. Macht euch bereit. Heute gibt es Seelenstriptease.

Ich habe Bindungsangst!

Die Einblicke, die ich durch die Coaching-Arbeit bekomme, sind jedes Mal extrem erhellend. Ja, es ist Arbeit. Manchmal ist es zäh, manchmal emotional aufwühlend und jedes Mal aufs Neue Augen öffnend. Mein Coach bringt mich immer wieder weiter über die Grenzen meiner eigenen Selbstreflexionen hinaus und ich lerne sehr viel Neues über mich. Es ist, als wenn ich mich noch einmal ganz von vorn kennenlerne und mich auf Basis meiner Erkenntnisse neu zusammensetze. Ich habe das Gefühl, dass mit jeder Coaching-Session mehr eine neue Lena entsteht. Eine Lena so wie sie sein will, anstatt so wie andere wollten, das sie werden soll. Über meinen Konflikt mit dem wollen sollen vs. wollen wollen hatte ich euch ja bereits berichtet.

Heute bin ich mit dem Anliegen zum Coaching gegangen an meiner Bindungsangst zu arbeiten. Ja, ich gestehe. Ich habe Bindungsangst. Es ist auch kein Bindungsängstchen, es ist mehr so eine Art Panik vor Verlust meines Selbst und komplettem Freiheitsentzug bei gleichzeitiger Angst vor Verlust und Abwendung, wenn es mehr als zwei Schritte Richtung Beziehung geht. Es ist ein Widerspruch in mir, denn so sehr wie ich mir Bindung wünsche, so sehr habe ich auch Angst davor. Ich habe in meiner Kindheit leider zu viele schmerzliche Bindungserfahrungen gesammelt und das Gefühl, dass ich unter deren Auswirkungen zunehmend leide.

Mir ist bewusst wo meine Probleme herkommen. Meinen Vater habe ich nie kennengelernt und meine Mutter hat mich im wahrsten Sinne des Wortes übermuttert und mir keinen Raum zum Atmen gegeben. Die Ambivalenz von zu viel und zu wenig spiegelt sich in meinen Beziehungen zu Männern wieder.

Wenn ich ehrlich darüber nachdenke, dann waren alle meine Beziehungen von einer gewissen Bindungsangst geprägt. Früher war mir das nicht im Geringsten bewusst. Damals war es eher eine gewisse Distanz und Unsicherheit beim Kennenlernen oder Probleme beim Loslassen einer Beziehung, wenn sie nicht mehr intakt war. Ich bin tatsächlich erst vor einem Jahr auf das Thema aufmerksam geworden. Es ist sogar so, dass die Intensität, mit der die Bindungsangst in mein Leben knallt, in den letzten Jahren Stück für Stück zugenommen hat. Mir ist erst in den vergangenen Tagen klar geworden, warum ich in den letzten Jahren zunehmend ältere Männer hatte, die dazu noch wenig geeignete Bindungskandidaten waren. Es fiel mir so leichter mich längerfristig darauf einzulassen, da ich mich nie vereinnahmt gefühlt habe. Von einem Mann, der gerade erst die Scheidung eingereicht hat, erwartet man nicht, dass er einem sofort den Ring an den Finger steckt. Einem Mann mit kleinen Kindern gibt man Zeit die Rasselbande erst langsam auf eine neue Frau in seinem Leben vorzubereiten und ein verheirateter Mann gibt einem – wenn überhaupt – nur Hoffnung auf Bindung in einigen Jahren.

Meine Bindungsangst ist wohl auch der Grund für meine Ambivalenz Nähe zu wollen, aber sobald Nähe da ist, ausbrechen zu müssen. Ab dem Moment, in dem der andere beginnt Erwartungen an mich zu stellen – bzw. noch schlimmer – berechtigte Erwartungen an mich zu stellen, dann kommt eine Anspannung in mir hoch, die mir den Genuss an gemeinsamen Momenten nimmt. Auch meine Vorliebe für Fernbeziehungen liegt in meiner Bindungsangst begründet. Was habe ich in meinem Leben schon alles für Distanzen auf mich genommen – Miami, L.A., New York. Ich mochte das Gefühl jemanden in meinem Leben zu haben, der per Telefon, FaceTime oder Skype erreichbar ist, ohne dauerhaft meine Routinen zu stören und mir meinen Freiraum zu nehmen. Ich habe einfach nie die Erfahrung gemacht, dass Bindung und Freiraum gemeinsam funktionieren.

Wenn ein Mann nämlich ausreichend weit weg ist – auf Basis seiner Lebenssituation oder geografisch – kann er mir nicht gefährlich werden. In diesen Fällen kann ich mich nach Bindung zu ihm sehnen und immer ein bisschen hoffnungsvoll sein, dass er den nächsten Schritt in Richtung Beziehung macht. Oft wünsche ich mir dann, dass wir in die nächste Phase einsteigen. Nur wenn sie dann da ist, beginne ich plötzlich zu zweifeln, ob ich wirklich mit diesem Einen langfristig zusammen sein will. Alles was vorher toll lief, wird auf einmal in Frage gestellt. Selbst bei Männern, mit denen ich zu Beginn den tollsten Sex hatte, verliere ich plötzlich die Lust. Die abenteuerlichsten Wochenendausflüge werden auf einmal Routine und ich hadere mit mir ob die Tiefe unserer Gespräche noch vorhanden ist oder alles langsam beliebig und alltäglich wird, um dann irgendwann gänzlich zu verstummen. Ich könnte die Liste der Zweifel unendlich fortführen. Die anfänglich gemeinsam genossene Nähe fühlt sich zunehmend an wie Ketten, die sich immer enger um meinen Körper winden.

Ich sollte im Coaching heute einen Satz formulieren, an dem ich arbeiten will. Ich sagte: „Ich möchte Bindung entspannt und sorgenfrei genießen.“

Genau darin liegt nämlich das Problem: Weder kann ich Bindungssituationen wirklich genießen, noch bin ich dabei entspannt und sorgenfrei. Ich bin eher angespannt und in meinem Kopf kreisen die Gedanken. Wo ich beim ersten Kennenlernen noch total cool, zwanglos und selbstsicher war, dreht sich das ganze in der Regel nach dem ersten Sex ins Gegenteil. Vielleicht weil dann für mich die Frage aufkommt, was die Gegenseite eigentlich von mir will und die Sorge, dass es nur mein Körper ist. Vielleicht auch, weil Sex ein so wichtiges Entscheidungsmerkmal für mich ist. Wenn es gut war, dann bitte vorrücken. War es mies? Dann schnell zum Nächsten. Wenn ich den Mann mag und das sogar so sehr, dass ich Sex mit ihm wollte und der Sex dann tatsächlich auch noch gut ist, dann heißt das den nächsten Schritt Richtung Beziehung machen zu müssen oder an dieser Stelle auszusteigen. Mir macht in der Regel beides ein flaues Gefühl in der Magengrube.

Womit ich mich bei der Aussage am meisten identifizieren konnte, war der Punkt am Ende des Satzes. Die Pause vor dem Neuanfang. Das Satzzeichen, bei dem sich die Stimme senkt und der Sprecher kurz atmen kann. Ich bin der Punkt, die Pause, das kurze Innehalten und einfach sein. Mein ONE YEAR NO GUY-Experiment gibt mir diese Pause, weil ich das Chaos und meine Überforderung mit Bindungssituationen erst einmal aufräumen muss, bevor ich mich auf etwas Neues einlassen kann.

Ich widme mein Wochenende meiner Bindungsangst und werde sie noch weiter erforschen. Das Update dazu folgt.

Please follow and like us:

2 Gedanken zu „Tag 13:
Der Punkt am Ende
des Satzes
&8220;

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.