Tag 10:
Was will ich wollen?

Nachdem ich gestern weit schweifend darüber philosophiert habe, was ich suche, habe ich seitdem darüber nachgedacht, was ich eigentlich will.

Ich habe das Gefühl, dass wir ständig wollen sollen. Darf ich auch einfach mal sein? Zurück zum Gefühl. Lasst uns mal wieder spüren, was es eigentlich ist, das wir wollen wollen.

Nun ja. Wie fange ich in einer Welt voller Erwartungen überhaupt an, darüber nachzudenken was ICH in meinem Innersten will? Und wie sähe mein Leben aus, wenn ich nur noch das tun würde, was ich will? Abseits von dem was mir immer eingebläut worden ist? Wo hören meine Wünsche auf und wo fangen die der anderen an?

Ich will glücklich sein. 
Ich will in mir ruhen – trotz aller Turbulenzen um mich herum.

Ich will wissen, was es ist, dass mich wirklich glücklich macht.

Und genau hier fangen meine Zweifel an. Weiß ich warum ich was will? Bin ich mir bewusst was mich wirklich nachhaltig und langfristig glücklich macht oder laufe ich nur den Wünschen und gesellschaftlichen Stereotypen hinterher, die mir im Laufe meines Lebens eingebläut wurden? Dazu ein paar Erinnerungen aus meiner Kindheit:

Erinnerung 1: Ich sollte immer großes Erreichen. Schon als Kind – in einem vereinigten und freien Deutschland – wurde mir gesagt, dass mir alle Möglichkeiten offen stehen würden. Ich kann alles werden, was ich will und auf jeden Fall studieren. Das war etwas ganz besonderes in meiner Nicht-Akademiker-Familie. Ich erinnere mich noch wie ich als Kind zusammen mit meiner Mutter ihre Zeugnisse anschaute – alles Einsen und nur eine Zwei in Sport. Das hat mich total angespornt. Und das Ergebnis war: Mein Zeugnis sah genauso aus. Wollte ich das alles so? Oder sollte ich es wollen?

Erinnerung 2: Als Kind einer alleinerziehenden Mutter, war ich sehr nah dran an dem, was sie jeden Tag leisten musste und somit auch an ihrer Gefühlswelt. Eines was wir gewiss nicht hatten war Geld. Es gab Zeiten, in denen wir gerade so genug hatten, um über die Runden zu kommen. An tolle Urlaube oder Reit- oder Klavierunterricht, den ich mir im Stillen immer gewünscht habe, war nicht zu denken. So erinnere ich mich – auch heute noch mit Schmerzen – an die Lebensmitteleinkäufe am Ende des Monats, wenn das Konto eigentlich schon in den roten Zahlen war und heute Essen zu kaufen bedeutete, im nächsten Monat mit einem dicken Minus zu starten. Ich sehe es noch wie gestern vor mir, als meine Mama und ich vor dem Kontoauszugsdrucker standen und das Geld mal wieder knapper war als erhofft. Die Verzweiflung war ihr tief ins Gesicht geschrieben. Die Trauer schwappte direkt auf mich über. In den Momenten dachte mein kleiner Kinderkopf immer, dass ich mal viel Geld verdienen muss, damit es meiner Mama und auch meinen eigenen Kindern besser geht und wir alle glücklich sind. Meine Ableitung war, dass Fleiß zu einem gut bezahlten Job führt, der uns alle glücklich machen würde. Ist mein Karrierestreben allein dieser Situation geschuldet? Würden mich andere Dinge vielleicht viel glücklicher machen?

Erinnerung 3: Meine Mama war in der Liebe Zeit meiner Kindheit und Jugend nie so richtig glücklich geworden. Sie träumte von ihrem Traummann, der ihr Sicherheit und Liebe schenkte. Ich erinnere mich noch wie wir gemeinsam in der Küche saßen und aufschrieben, welche Eigenschaften unser Zukünftiger so alles haben sollte. Ich war damals vielleicht 10 Jahre alt. Und so frage ich mich gerade ob der Wunsch nach einem Mann, der mir Sicherheit und Liebe schenkt ein Wunsch aus meinem Herzen ist oder ob auch dieser mir quasi mit der Muttermilch einverleibt wurde.

Inception?

Was will ich also wollen? Und was darf ich wollen? Ein kleines Gedankenexperiment: Was wäre wenn ich einfach nur Mutter sein will – zu Hause bleiben und meine Familie mit Liebe verwöhnen? Darf ich das heute überhaupt noch wollen? Muss ich nicht als Frau mindestens genauso erfolgreich sein wie Männer und jedem weiblichen Hausfrauenimage mit wehenden Fahnen entgegentreten? Wir sind doch jetzt alle so gleichberechtigt und können unser volles Potenzial ausschöpfen. Einfach „nur“ zu Hause zu bleiben und auf die Kinder aufzupassen – vielleicht sogar noch für den Mann zu kochen wenn er nach Hause kommt – scheint so gar nicht in das Bild der modernen Frau zu passen. Was wäre aber, wenn ich das wirklich will und mich dieses Leben erfüllt? Würde ich dann nicht trotzdem ein wenig schief und mit gerümpfter Nase von all den anderen Top-Performerinnen angeschaut werden, als die eine, die nicht stark genug ist, um alles unter einen Hut zu bekommen? Käme ich mir nicht wie ein Schwächling vor zwischen all den Multitasking-begabten Powerfrauen, die Kind, Karriere und auch noch einen Marathonlauf mit Leichtigkeit stemmen?

Ich denke manchmal darüber nach wie es wäre, mit Familie und Mann und einem Haus mit großem Garten zu leben. Eine schöne kitschig-romantische Vorstellung. Ich höre in solchen Momenten, in denen ich darüber nachdenke eine Stimme in meinem Hinterkopf: “Lena, du hast doch so viel Potenzial.“ oder „Da hast du doch noch ganz viel Zeit dafür, du bist doch noch so jung.“ Den Fokus auf Familie zu setzen, würde sich so anfühlen als wenn ich aufgebe, mein Potenzial verspiele und meine großen Träume eines bedeutenden Lebens niemals erreichen werde. Heutzutage frühzeitig Kinder zu bekommen, machen doch nur die Hausfrauen ohne eigene Zukunftsperspektive oder weil man nicht gut genug aufgepasst hat.

Was wäre wenn die große Karriere trotz meiner Anlagen nicht das ist, was ich in meinem Innersten verfolgen möchte? Was wäre wenn Erfüllung für mich darin läge mich „nur“ auf Familie, Freunde und Zeit für mich zu fokussieren. Muss ich mir dann etwas vorwerfen lassen? Sollte ich meine Ziele nicht höher stecken? Schließlich hat die Gesellschaft so viel in meine Bildung investiert. Ich bin jung, hervorragend ausgebildet, hypermobil, hochintelligent und charismatisch. Sollte ich damit nicht die Welt retten oder sie zumindest ein klein wenig besser machen? Sollte ich nicht versuchen keinen Tag zu verschwenden auf dem Weg mein Ziel zu erreichen? Was wäre wenn ich einfach 3 Jahre Elternzeit nehme, um richtig viel Zeit für mein Kind zu haben, es bestmöglich in diese Welt einzuführen und ihm Liebe zu schenken? Oder aber 3 Jahre in ein Kloster zu gehen, um mich selbst zu finden? Habe ich dann mein Potenzial verschwendet? Oder habe ich es nur anders eingesetzt? Darf ich etwas wollen dürfen, was nicht immer von Leistungsgedanken durchsetzt ist? Darf ich einfach mal innehalten und glücklich sein? Oder hab ich dann nicht genug Ehrgeiz? Mir schwirrt der Kopf.

Die aktuelle Debatte über Gleichberechtigung geht aus meiner Sicht meistens nur darum, ob wir Frauen immer genug tun und erreichen können. Ich glaube wir sollten uns darüber unterhalten, wie jeder von uns das tun kann was zu ihm passt und ihn ausfüllt – und das ohne zu beurteilen ob er oder sie das Maximum aus seinem oder ihren Fähigkeiten herausgeholt hat. Sollte Erfolg nicht daran gemessen werden wie glücklich das einzelne Individuum ist, anstatt wie viel es verdient oder wie viel Macht und Einfluss es hat? Wie schafft man das in einer Welt, die andere Prioritäten aufgebaut hat?

Leider haben wir Menschen uns nie mit dem Ziel der Steigerung des Glücksniveaus weiterentwickelt, sondern nur mit Hinblick auf Vermehrung unserer Genkopien. So ist es zumindest im Buch „Sapiens“ von Yuval Harari nachzulesen. Diese Tatsache hat mich massiv zum Nachdenken angeregt. Treibt uns die Biologie zu schnellem Sex und all den Statussymbolen und Äußerlichkeiten, die die Wahrscheinlichkeit darauf erhöhen? Halten uns unsere Instinkte auf Tinder und Nachts bis Mitternacht im Büro anstatt uns die Zeit zu nehmen nachzudenken was wir wirklich wollen und was uns langfristig glücklich macht? Wieweit können wir unsere evolutionären Anlagen beherrschen und den Reset-Knopf drücken? Mehr oder weniger probiere ich das mit meinem ONE YEAR NO GUY-Experiment gerade aus – ein bisschen Selbstaufklärung in einer Zeit des Datingwahns.

Nur weil die Menschheit in ihrer Historie zweifelhafte Prioritäten gesetzt hat, muss ich das doch für mein kleines Leben nicht auch noch übernehmen. Ich möchte herausfinden was es ist, das ich wirklich wollen will. Ich gehe mal in mich und lasse euch wissen, sobald ich mehr Klarheit dazu habe. In der Zwischenzeit würde ich mich über Inspiration von euch freuen! Was wollt ihr wollen? Bitte teilt eure Gedanken in den Kommentaren. Ich bin super gespannt was ihr alle dazu denkt.

 

 

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8 Gedanken zu „Tag 10:
Was will ich wollen?
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  1. Mein Name Denise, ich hin 23 Jahre alt. Ich bin seit 2 Jahren verheiratet und wir haben einen 2 1/2 jährigen Sohn. Wir wohnen in einen wunderschönen Haus. Soweit klingt das alles nach genau dem, was ich mir immer vorgestellt habe für mich. Und vor allem auch mir dem Mann, mit dem ich mir das immer vorgestellt habe. Ich wollte das so.
    Leider ist das alles nicht mehr so rosarot…
    Mein Mann und ich, wir sind 10 Jahre zusammen, bis wir uns im August getrennt haben. Es funktioniert nicht mehr zwischen uns. Wir verstehen uns super, er ist wie mein bester Freund. Ich bin gescheitert an dem, was ich wollte.
    Ich war 2 Jahre zuhause mir meinem Sohn habe mich voll uns ganz auf ihn konzentriert. Mein Mann hat das Geld nach Hause gebracht. Ich dachte immer, genau das wäre mein Leben. Und plötzlich kam der Tag, an dem mir klar wurde, das ist eben nicht das was ich will. Jetzt könnte man natürlich behaupten ich wäre zu jung für all meine Vorstellungen gewesen. Aber selbst Menschen im reifen oder reiferen Alter lassen sich scheiden und trennen sich.

    Lange Rede kurzer Sinn. Ich wohne seit August mit meinem Sohn alleine in unserem Haus. Ich führe ein Leben zwischen Erziehung und Arbeit, meinen Freunden und meinem neuen Freund und ich kann mit ganz viel Mut und Stolz behaupten, dass ich in meinem Leben selten so glücklich gelebt habe wie jetzt. Ich bin mir meiner Situation bewusst und lebe vor allem bewusst. Ich bin viel dankbarer und versuche aus jeder Situation das positive raus zu ziehen (was zugegeben nicht immer einfach ist) aber mit den gedanken, lässt es sich Hundertmal einfacher leben, in einem leben, was ich mir für mich eigentlich ganz anders vorgestellt habe.

    1. Liebe Denise,

      leider komme ich erst jetzt dazu dir zu antworten. Meine letzten Tage waren ziemlich voll und ich brauchte ein wenig Rückzug.

      Ich danke dir so sehr, dass du deine Geschichte so offen und ehrlich mit uns teilst. Das was du beschreibst, kann ich so gut nachvollziehen. Mein Plan für mein Liebesleben war auch ein ganz anderer. Familie, Haus, Kinder… All das war das Leben, das ich mir vorgestellt hatte. Bis zu dem Zeitpunkt wo ich realisierte, dass ich in diesem Leben nicht glücklich bin und mehr Schauspieler als authentischer Mensch war. Ich wusste, dass ich dieses Leben nicht bis zum Ende meiner Tage hätte führen wollen und mich von dem Mann, der sicher ein toller Papa gewesen wäre, spätestens wenn die Kinder aus dem Haus sind, getrennt hätte.

      Manchmal müssen wir erst in die falsche Richtung laufen, um zu erkennen was richtig für uns ist. Ich wünsche dir viel Erfüllung und Glück in deinem “neuen Leben”.

      Herzensgrüße,
      Deine Lena

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